Wallenstein—ein Opfer der Kaufkraft

■ Jaroslav Chundela inszeniert den deutschen Oberklassiker am Bonner Schauspiel

Fast wäre Wallenstein ein erfolgreicher Streikbrecher geworden. Keine Premiere kam mehr auf die Bretter. Nur in Bonn hatte man schon eine neue Mannschaft für die Bühnentechnik engagiert und wollte spielen, komme, was da wolle. Da kam die Tarifeinigung, und alles ging wie gehabt. Wallenstein war wieder das Gewerkschaftsopfer. Kein Platz für individuelles Heldentum. Die Kaufkraft hat das letzte Wort. Die Kaiserlichen zahlen mehr, also bleibt der Soldat in öffentlichen Diensten dem Kaiser treu und mordet auftragsgemäß den Einzelkämpfer Wallenstein.

Man traut sich wieder heran an die einschüchternde Fleißarbeit unseres Oberklassikers. In Bonn gibts den ganzen Wallenstein an einem Abend, zügig rollt die Handlung ab. Die Riesenbühne, die die ganze Breite der Beueler Halle offen läßt, zwingt die Schauspieler zur raschen Gangart. Die Leere wird gefüllt mit Eile und Versatzstücken, schwarzbraune Pappwände rollen hin und her. Die Inszenierung setzt an zum Großprojekt, nichts weniger als die ästhetische Kategorie des Erhabenen ist es, wonach sie zielt. Aber sie setzt nur an zum Höhenflug. Sie stürzt nicht ab, sie kommt gar nicht hoch.

Der Zug zum Grandiosen ist weniger durch materielle als durch intellektelle Sparsamkeit gehemmt. Wallensteins Lager wird, wie seit Heymes Kölner Inszenierung von 1969 üblich, aufgeteilt und in kleinen Stücken zwischen Haupt- und Staatsaktionen eingeschoben. Die latente Episierung, die Zurücknahme der zentralen Stellung des Individuums im Drama, wird so manifest. In Bonn radikalisiert man diesen Eingriff in den Text und verschenkt ihn sogleich. Anonyme Riesenpuppen führen diese Szenensplitter vor. Die Texte sind jedoch so verstümmelt, die Bewegungen so hastig, die Verständlichkeit so gering, daß die eindrucksvollen Figuren des Malers Johannes Grützke um ihre Wirkung gebracht werden. Nur einmal, beim letzten Monolog von Max, wird die Funktion der Monsterpuppen deutlich: aus dem Dunklen drängen die Schwellköpfe der Soldaten auf ihn ein, der gescheiterte Idealist findet den Tod.

Ansonsten wird brav der (stark gekürzte) Schiller-Text bedient. Doch wie soll man Max, den letzten echten Schiller-Jüngling, heute spielen? Schönes Pathos kann es nicht mehr geben. Leiden ist nicht schön, wer es behauptet, dem glaubt man nicht. David C. Brunners aber versucht sich ernsthaft am Genre des strahlenden Helden und erreicht doch nur einen Softie mit Schmollmündchen, der vielleicht Thekla (Jacqueline Macaulay) ver-, aber kein Regiment anführen könnte. Gräfin Terzky (Monika Kroll) hat nicht nur die Hosen an, sondern noch die Reitstiefel dazu und wälzt sich mit Wallenstein am Boden. Buttler (Michael Prelle) lüpft mal kokett den grauen Soldatenmantel und zeigt seinen Kilt. Gegen diese Peinlichkeiten kann sich nur Eric Schneider als Octavio behaupten. Der sonst als intriganter Machtpolitiker abgetane Octavio wirkt moralisch integer. Sein Sieg ist tragisch, nicht Wallensteins Untergang.

Wallenstein ist in dieser Inszenierung weder gescheiterter Friedensfürst noch zynischer Kriegsgott. Rudolf Kowalski spielt einen sich selbst überschätzenden Spieler, einen Möchtegern-Napoleon. Wallenstein trägt nur dann als Hauptfigur das Risendrama, wenn er uns als Mensch interessiert. Das war Schillers Grundproblem. Moralisch überlegen ist er nicht. Ein Macher, der nur zögert, ein Rechner, der sich verkalkuliert, was soll uns das? Die Bonner Inszenierung tappt in diese Falle, aus der sich Schiller nur mit Mühe herausgearbeitet hat. Wallenstein wird heruntergespielt auf Möllemann-Niveau. Und das ist tödlich für das Stück.

Das Erhabene zeigt uns die Inkommensurablität von Denken und Wirklichkeit, sagt Lyotard. In Bonn sieht man nur die Diskrepanz von Absicht und Gelingen. Gerhard Preußer

Friedrich Schiller: Wallenstein, Schauspiel Bonn (Halle Beuel), Regie: Jaroslav Chundela, Bühne: Hans Georg Schäfer, Figuren: Johannes Grützke, mit Rudolf Kowalski, Eric Schneider. David C. Brunners, Jacqueline Macaulay. Weitere Vorstellungen: 12., 16.-20., 25./26., 30./31. Mai