Litauen privatisiert Kolchosen

Nomenklatura macht den Bauern zu schaffen/Benachteiligt Privatisierung nationale Minderheiten?  ■ Aus Vilnius Klaus Bachmann

Bujdziwiszki ist eine kleine Gemeinde am Stadtrand von Vilnius, die in der letzten Zeit vor allem wegen ihrer Landwirtschaftsschule in die Schlagzeilen geriet. Deren Grund und Boden soll nämlich privatisiert werden, was im Dorf zu erheblicher Aufregung geführt hat. In Bujdziwiszki, so berichtet die Gemeinderätin Teresa Andrzejewska, sei man dabei etwas einfacher vorgegangen, als es das Gesetz vorschreibt. Dort gründete die Leitung der Landwirtschaftsschule eine eigene Firma und überführte dorthin eines Nachts das gesamte Vieh. „Nur eine kranke Kuh haben sie übriggelassen.“

Nach dem litauischen Privatisierungsgesetz wird der Boden von Kolchosen und Sowchosen unter die dort arbeitenden Bauern verteilt — sofern nicht ehemals enteignete Vorbesitzer Ansprüche erheben. Überschneiden sich deren Rechte mit denen der Belegschaften, so erhalten die ursprünglichen Besitzer Ersatzgrundstücke in der Nähe. In den meisten Betrieben bilden sich kleine Belegschaftsfirmen, die dann das Betriebsvermögen übernehmen können.

Daß vor allem Litauens Nomenklatura aus der Privatisierung Vorteile zu schlagen weiß, hört man nicht nur in Bujdziwiszki. Nach wie vor funktionieren inoffizielle Verbindungen und alte Bekanntschaften. In Salcininkai, südlich von Vilnius, versuchten sogar russische Banken, die Aktienmehrheit an zur Privatisierung anstehenden Kolchosen zu erwerben. Banken, die noch dazu im Verdacht stünden, KPdSU-Gelder zu waschen, betont ein litauischer Beamter. Das Nachsehen, so sagen Funktionäre des „Bundes der Polen in Litauen“, hätte vor allem die polnische Minderheit im Gebiet um Vilnius. Die Regierung möchte nämlich das Stadtgebiet ausweiten, was die Größe der zu reprivatisierenden Fläche auf die Hälfte begrenzen würde. Gleichzeitig kehren viele litauische Sibirien-Deportierte zurück, die ebenfalls Land brauchen, die die Regierung aber offenbar am liebsten auf Kosten der Polen entschädigen würde. Hinzu kommt, daß die polnische Bevölkerung im Vilniuser Gebiet ohnehin im Schwinden begriffen ist. „Viele unserer Landsleute sind ausgewandert, die Gesellschaft überaltert“, meint Jozef Rybak, polnischer Lokaljournalist in Salcininkai. Wer seine Rechte auf Land geltend machen will, muß Dokumente vorlegen, die wiederum nur in den staatlichen Archiven zu finden sind. Doch die Antworten auf Anfragen bleiben oft monatelang aus — sie sind überlastet. „In der Zwischenzeit kaufen Spekulanten die Grundstücke und stellen uns vor vollendete Tatsachen“, schimpft Teresa Andrzejewska. In Grygaiciai, einem Dorf nordöstlich von Vilnius, habe eine Privatisierungskommission jemandem Land zugeteilt, das bereits von einem anderen bebaut worden war. Der neue Besitzer verbot dem vorherigen den Weiterbau und besetzte sogar den Bauplatz. Erst eine Polizeieinheit konnte ihn von der Rechtswidrigkeit seines Tuns überzeugen.

Die oft recht chaotische Privatisierung trägt eine ernste Gefahr in sich. Viele Kolchosbauern sind im Ungewissen, wem die Erde in den kommenden Monaten zugeteilt wird, die sie jetzt eigentlich besäen sollten. Aus Furcht, die Früchte könnte ein anderer ernten, halten sich viele deshalb mit der Aussaat zurück. Es wird vermutet, daß sogar nur zwanzig Prozent der Felder überhaupt eingesät wurden. Litauens Lebensmittelknappheit und seine Abhängigkeit von Rußland, das gegen Lebensmittelexporte strategische Güter wie Treibstoff liefert, würde so weiter zunehmen. Experten fordern daher eine Vereinheitlichung der komplizierten Privatisierungsbestimmungen. Doch das Parlament ist sich über zahlreiche Details immer noch uneinig.