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Türkei widersetzt sich militärischer Lösung

■ In scharfen Stellungnahmen verurteilen türkische Politiker armenisches Vorgehen in Berg-Karabach

In einer scharf formulierten Stellungnahme reagierte der türkische Ministerpräsident Demirel auf die Eroberung der Stadt Schuscha in Berg-Karabach durch armenische Verbände. Schuscha war eine der letzten Stellungen Aserbaidschans in Berg-Karabach. Vor dem Beginn der Kämpfe zwischen Armeniern und Aseris in dem 180.000 Einwohner zählenden Berg-Karabach waren zwei Drittel der Bevölkerung Armenier und ein Drittel aus Aserbaidschan. Mittlerweile ist nahezu die gesamte Enklave Berg-Karabach, die keine Grenze zu Armenien aufweist und formell aserbaidschanisches Staatsgebiet ist, unter Kontrolle der Armenier.

„Unser Wunsch, mit der internationalen Staatengemeinschaft auf eine friedliche Lösung des Konfliktes hinzuwirken, sollte nicht als Schwäche ausgelegt werden“, sagte Demirel. „Eine militärische Lösung kann nicht akzeptiert werden. Der Beschluß der KSZE vom 22. Februar 1992 in Prag unterstreicht, daß Berg- Karabach vom Standpunkt des internationalen Rechts aserbaidschanisches Territorium ist. Die Türkei wird nicht zulassen, daß dies mit Gewalt verändert wird.“ Demirel sprach von einer „Verantwortung der Türkei gegenüber den aserbaidschanischen Brüdern und Schwestern“. Der stellvertretende Ministerpräsident Erdal Inönü wies auf die Mitgliedschaft Armeniens und Aserbaidschans in der KSZE hin: „Die Grenzverletzungen der Armenier können genausowenig wie im Fall Kuwait akzeptiert werden.“

Unterdessen hat der aserbaidschanische UN-Vertreter den Sicherheitsrat angerufen. Die Türkei, die den aserbaidschanischen Antrag unterstützt, spielt mittlerweile eine Schlüsselrolle auf dem internationalen Parkett, um die Interessen der türkischsprechenden Aserbaidschaner zu vertreten. „Die internationalen Institutionen sind genauso wie im Fall Bosnien unsensibel“, klagte der türkische Außenminister Hikmet Cetin. Armenische Vorwürfe, die Türkei plane eine militärische Intervention, wurden zurückgewiesen.

Krise um autonome Republik Nahcivan

Die Schärfe der türkischen Stellungnahmen ist ebenfalls Folge des Fiaskos von Teheran, wo am vergangenen Freitag der armenische Staatspräsident Levon Ter-Petrosjan und der stellvertretende aserbaidschanische Staatspräsident Yakup Memedow unter iranischer Vermittlung einen Waffenstillstand vereinbarten. Nur wenige Stunden nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes starteten die Armenier die Großoffensive auf Schuscha. Eine Rolle spielt ebenfalls, daß die Kämpfe auf Gebiete außerhalb Berg-Karabachs übergegriffen haben. Die aserbaidschanische Stadt Latschin, die außerhalb Berg-Karabachs liegt, steht unter Beschuß. Die Eröffnung eines Landkorridors von Armenien zu Berg-Karabach — bislang existiert nur eine Luftverbindung — ist offensichtlich Ziel der armenischen Milizionäre. Türkische Politiker mißtrauen den armenischen Beteuerungen, daß Armenien als Staat nicht in die Kämpfe involviert sei. Der armenische Staatspräsident Ter-Petrosjan hatte davon gesprochen, daß sowohl Aserbaidschan als auch Armenien „die Kontrolle über das Gebiet verloren“ hätten. Bereits vergangene Woche hatte sich die politische Krise zwischen der Türkei und Armenien verschärft, als die autonome Republik Nahcivan, die formell Teil Aserbaidschans ist, jedoch nur Grenzen zu Armenien, dem Iran und der Türkei aufweist, von armenischen Verbänden angegriffen worden war und der Präsident Nahcivans, Haydar Alijew, die Türkei aufforderte, zu intervenieren. Aufgeschreckt durch Nachrichten, wonach die Kämpfe nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt geführt würden, hatte der türkische Außenminister Cetin seinen US-Amtskollegen angerufen und um Hilfe gebeten. Inzwischen hat sich die Situation in Nahcivan wieder beruhigt. Ömer Erzeren

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