Das lange Leben der alten Strukturen

■ Nach stundenlangen Verhandlungen wurde in Tadschikistan eine Koalitionsregierung unter Leitung des altkommunistischen Präsidenten Nabijew gebildet/ Unklarheit über die Lage in der Provinz

Duschanbe (afp/ap/dpa) — Ist der alte Präsident Tadschikistans auch der neue? Oder kann der Altkommunist Rachman Nabijew doch noch von der Islamischen Opposition gestürzt werden? Diese Fragen wurden am gestrigen Montag in Duschanbe, der Hauptstadt der 5,1 Millionen Einwohner zählenden zentralasiatischen Republik, heftig diskutiert. Denn nachdem sich die bisherige Staatsführung mit der Opposition noch am Montagmorgen auf die Bildung einer Koalitionsregierung unter Nabijew geeinigt hatten, begann im Laufe des Tages eine zweite Gesprächsrunde, bei der die größte oppositionelle Kraft erneut den Rücktritt des Präsidenten forderte. Unklar war zunächst auch die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung. Nach Mitteilung der Demokratischen Partei soll ein zehnköpfiger Regierender Rat eingesetzt werden, in dem die Opposition mehr als die Hälfte der Mitglieder stellt. 'Itar- Tass‘ meldete dagegen, daß die Opposition 8 der 24 Ministerposten besetzen wird.

Die Einigung zwischen Nabijew und seinen Gegnern war nach stundenlangen Nachtverhandlungen zustandegekommen und wurde von Rachim Musulmajom, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Demokratischen Partei bekanntgegeben. Musulmajom sagte, Nabijew werde weiter an der Spitze des Staates stehen, doch sei dies nach Meinung der Opposition „nur eine Formalität“. Nabijew habe akzeptiert werden müssen, da dessen Anhänger in den meisten Regionen der zentralasiatischen ehemaligen Republik der Sowjetunion noch die Kontrolle ausübten. Nabijew, der ehemalige kommunistische Parteichef Tadschikistans, war nach dem Putsch gegen Michail Gorbatschow zum Präsidenten der Republik ernannt worden.

Aber auch der zukünftige Ministerpräsident Tadschikistans ist ein Mitglied der „alten Strukturen“, dieses Amt übernimmt der bisherige Vizepräsident Achbar Mirsojew, er gilt als Kompromißkandidat. Neuer Verteidigungsminister wird General Bachron Rachmonow, ein ehemaliger Gefolgsmann von Nabijew, der in der vergangenen Woche zur Opposition übergelaufen war. Musulmanjom erklärte weiter, der Regierende Rat werde seine Arbeit aufnehmen, sobald alle Mitglieder bestimmt seien. Es gehe vor allem noch um die Besetzung der Posten des Vizepräsidenten und des Generalstaatsanwalts; das nationale Bildungsminsterium, die Leitung der Zentralbank sowie von Rundfunk und Fernsehen falle an die Opposition. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen eine Volksabstimmung über die neue Verfassung und die Neuwahl des Parlaments stattfinden. Am vergangenen Sonntag hatten die Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts einen schweren Rückschlag erlitten, als in der Hauptstadt Duschanbe Soldaten der Sondereinheiten des Innenministeriums auf Demonstranten schossen. Diese hatten nach Angaben der Moskauer Nachrichtenagentur 'Interfax‘ versucht, in das Gebäude des KGB einzudringen. Bei dem Gefecht kamen zehn Menschen ums Leben, elf wurden verletzt.

Während am Montag in Duschanbe „Ruhe einkehrte“, herrschte über die Lage in der Provinz Unklarheit. Die Bezirke Kuljab und Leninabad sollen die Ausstrahlung der Sendungen der von der Opposition kontrollierten Fernsehanstalt gestoppt haben. Aus Leninabad, dem Teil des Landes aus dem traditionsgemäß die kommunistischen Funktionäre kamen, wurde gemeldet, daß sich der Bezirk dem Schutz des usbekischen Präsidenten Karimow unterstellen möchte.

Ein Teil dieser Funktionäre und auch Nabijew selbst hatten offenbar bis zuletzt gehofft, daß Einheiten der GUS-Armee auf ihrer Seite in den Machtkampf um Tadschikistan eingreifen würden. Doch die Offiziere der ehemaligen Roten Armee weigerten sich, „für Tadschikistan zu sterben“. Zugleich fürchtet die Armee-Führung jedoch „Verrat aus den eigenen Reihen“. Da der in Duschanbe stationierten GUS-Garnison zahlreiche tadschikische Rekruten angehören, könnte eintreten, was zuvor schon in Armenien und Aserbaidschan passierte: Dort fielen ganze Munitionslager aus den Beständen der Armee an die Nationalisten. her