Das Schnellgericht tagt

■ Justiz inszeniert zweijährige Satire gegen »Fürstin des Grauens« wegen 1.183 Pfennig Mietrückstandes

Kreuzberg. Die arme Justiz. Immer überlastet. So überlastet, daß sie manchmal anscheinend keine Zeit mehr findet, um hausgemachten Unsinn zu bereinigen. Den Eindruck muß jedenfalls Irm Seufert haben, auch »Fürstin des Grauens« genannt. Daß ihre Bank vergaß, nach einer Mieterhöhung um 11 Mark 83 den Dauerauftrag für ihre kleine Kreuzberger Wohnung zu verändern, hatte weitreichende Folgen für die bayerische Koloratursopranistin.

Insgesamt sechs blaue Briefe schickte ihr die Justiz. Für sechs mal sechs Mark Gebühren. Die Irm Seufert nicht blechen mochte, weil der Anlaß der justitiellen Streiterei doch längst ausgeräumt, sprich, nach einer Woche bezahlt war. Und nun, nach zwei Jahren, droht ihr der Gerichtsvollzieher deswegen die zwangsweise Wohnungsöffnung an.

Wie das? Weil die schnelle Wohnungsbaugesellschaft GSW die Sängerin bereits verklagt hatte, bevor die langsame Bank das fehlende Geld überwies (erster blauer Brief à 6 DM). Weil die schnelle Justiz ihre Überlastung vergaß und einen schnellen Verhandlungstermin anberaumte (zweiter blauer Brief à 6 DM). Weil der Klagevertreter dann aber schnell in den Urlaub abrauschte (dritter blauer Brief à 6 DM). Weil dieser kurz vorher aber doch noch ein Einsehen hatte und den Rechtsstreit schnell »in der Hauptsache für erledigt« erklärte (vierter blauer Brief à 6 DM). Weil das Amtsgericht Tempelhof- Kreuzberg daraufhin in einem schnellen »Versäumnisurteil« beschloß, die Klage sei erledigt, die Beklagte aber habe »die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (fünfter blauer Brief à 6 DM). Weil Irm Seufert deshalb schnell 99,66 Mark an die Rechtsvertreter der Wohnungsbaugesellschaft zu zahlen habe (sechster blauer Brief à 6 DM). Sie zahlte zähneknirschend. Weil dem auch noch eine schnelle »Kostenabrechnung« über »Verfahrens- und Postgebühren« hinterherflatterte. Das Zähneknirschen wurde immer lauter. Sie zahlte nicht. Was wiederum den Gerichtsvollzieher veranlaßte, einen schnellen Besuch anzukündigen.

»Wg. 11,83 Mark eine Gerichtsklage ist für mein bäuerliches Verständnis unzulässig«, schrieb die »Fürstin des Grauens« an das »liebe Amtsgericht«. Sie warf ihm »Geldverschwendung« und »Zeitverschwendung« vor, »auch ein Richtertag hat nur 24 Stunden, der nicht industriell vermehrbar ist. Ausgerechnet in deutsch-deutscher Zeit, da gäbe es wirklich Wichtigeres zu regeln.«

Doch das liebe Amtsgericht zeigte sich ungerührt. Nun sucht Irm Seufert einen »engagierten Rechtsanwalt«, der kurzen Prozeß mit diesem langen Prozeß machen könnte. »Nicht weil es mir um die sechs mal sechs Mark geht, sondern weil viele Bürger auf solche und ähnliche Weise hereingelegt werden.« usche