■ In Italien interessiert eigentlich nur der Sieg im "America's Cup"
: Des Mohren Schuldigkeit

Des Mohren Schuldigkeit

Terracina (taz) — Glückliches Italien: Da können sich Parteien nicht auf einen Nachfolger des zurückgetretenen Staatsoberhaupts Cossiga einigen, da ist die Regierungsbildung sechs Wochen nach den vorgezogenen Neuwahlen ferner denn je, da werden tagtäglich neue Haushaltslöcher offenbar, hat das Gesundheitswesen seinen Geist aufgegeben, beginnen Inflation und der Lira-Verfall wieder zu galoppieren und wandern bestechende Unternehmer und korrupte Politiker zu Hunderten hinter Gitter — doch was besetzt die Schlagzeilen der ersten Seite in der nationalen Presse und die Topmeldungen im Fernsehen? Richtig: der Segelerfolg des „Moro di Venezia“ im „America's Cup“.

Nachtnächtlich versammelt sich keineswegs nur die Gemeinschaft der Skipperbegeisterten vor dem Fernsehschirm, um die mehr oder weniger fachmännischen Kommentare hochrangiger Hobby-Kapitäne über das geringste Manöver der „Montedison“-Crew zu übernehmen und die Bewegungen des jeweiligen Gegners mit Aufschrei zu quittieren. Italien hat, so scheint es, nur noch eines nötig, um sich an die Spitze aller Industrie- und Kulturnationen zu setzen — den Sieg über „America 3“.

Da spielt es auch keine Rolle, daß der Sponsor der quicken Yacht im Grunde ein verstoßener Sohn des Landes ist und sich auch immer wieder recht negativ über seine Haimat ausläßt — ansonsten eine Art Selbstmord für jeden Italiener. Doch Raul Gardini, dem eitle Politiker vor zwei Jahren das Geschäft seines Lebens — die Übernahme der vor drei Jahrzehnten verstaatlichten Chemieindustrie — zunichte machten und so seine Enthebung vom Chefsitz des europagrößten Agrarkonzerns Ferruzzi bewirkten, ist seither „der“ Bannerträger der grünweißroten Trikolore schlechthin. Daß er angesichts des derzeit boomenden Knast- Einzugs hoher Parteiführer sich öffentlich die Hände reibt und sagt „Ich habe mich aus Italien gerade deshalb zurückgezogen, weil man in diesem Land für den Erfolg die Korruption braucht und am Ende ins Gefängnis kommt“ — niemand verübelt es ihm, selbst die mit ihren Parteien in die Skandale hochverstrickten Politiker nicken beifällig.

Derlei kollektiver Verdrängungsmechanismus hat freilich in Italien gute Tradition. Als sich Anfang der siebziger Jahre der Rechtsterrorismus mit immer blutigeren Bombenattentaten entwickelte, das Wirtschaftswunder der vorangegangenen Jahre zusammenbrach, das Arbeitslosenheer anwuchs und die Inflationsrate auf zweistellige Quoten zu klettern begann, schien nichts wichtiger als die Erfolge der Springreiterequipe um Graciano Mancinelli. Und als Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre zunächst die Roten Brigaden reihenweise Manager und Politiker entführten und sich die herrschende Klasse völlig unfähig zum Umgang mit dieser Entwicklung zeigte, schwenkten die Fernsehkameras und Schreibmaschinen der Informationstransporteure enthusiastisch auf die vielen, vielen Medaillen bei den Olympischen Spielen in Moskau — unter vornehmer Verdrängung, daß damals die sportlich starken Nationen nahezu allesamt die Spiele blockiert hatten. Doch Medaille ist Medaille, gleichgültig gegen wen man sie erzielt. Und Erfolg ist Erfolg, gleichgültig auf welchem Gebiet man ihn erringt: Er setzt Vertrauen und gibt Kredit auch auf allen anderen Gebieten.

Der Einzug des „Moro“ von Raul Gardinis Montedison-Mannschaft zeigt es. Obwohl man nur schwer auch nur den leisesten Zusammenhang zwischen dem Segel-Ereignis und der produktiven Kapazität des Landwirtschafts- und Chemie-Konzerns herstellen kann, erlebten die Aktien des Unternehmens einen Boom wie noch nie in der Geschichte von Ferruzzi. Werner Raith