Von baskischem Stolz und Starrsinn

Die dickköpfigen Basken beharren auf ihrer Eigenständigkeit — auch wenn sich über die ETA inzwischen die Geister scheiden  ■ Aus Oiartzun Antje Bauer

Lieblich, in Wiesen voller Butterblumen gebettet, liegt Oiartzun. Nur eine halbe Autostunde von San Sebastian entfernt, verlieren sich in grünen Hügeln einsame, graue Caserios, baskische Bauernhäuser aus dickem Stein, wie für die Ewigkeit gebaut. Der Marktflecken: Ein hoher grauer Kirchturm, Geranien blühen rot an Balkonen der massiven kleinen Häuser. Ein betagter Gemeindediener fegt gemächlich den Vorhof des Rathauses. „Gora Eta (m)“ (Es lebe ETA-militar), steht an Wänden gesprüht, und: „Ertzantza (baskische Polizei), Mörder. Eta, töte sie.“ Ein Wandbild in den Regenbogenfarben der ETA-nahen Koalition Herri Batasuna fordert: „Independentzia!“

„Man kann ein Volk unterdrücken“, der schmächtige Mann hebt beschwörend die Arme, „aber die innere Flamme stirbt erst mit dem Tod.“ Vom Schulhof dringen Kinderrufe herein. Jose Ostolaza schließt die Augen, um sich zu konzentrieren. „Die Sprache ist das wichtigste für das Überleben eines Volkes. Ohne Euskerra gäbe es keine Basken mehr.“

Diesem Credo hat Ostolaza sein Leben gewidmet. Als junger Priester beteiligte er sich an der Gründung einer Ikastola, einer baskischen Schule, hier am Ort. Unter Mitwissenschaft der Kirchenobrigkeit wurden Garagen und leerstehende Räume angemietet, angeblich, um Katechismusunterricht zu erteilen, in Wirklichkeit, um baskische Kinder in ihrer Muttersprache, dem Euskerra, zu unterrichten.

Nach fünfundzwanzig Jahren der Mobilisierungen, Spendensammlungen und Solifeste ist die Ikastola heute ein großes Gebäude mit Sportanlagen, das achthundert Schüler von der Vorschule bis zum Abitur besuchen. Halbprivat, denn in den öffentlichen Schulen ist im Baskenland noch heute die Unterrichtssprache Kastilisch. Für Jose Ostolaza hat der Kampf um das Euskerra und den „Erhalt des baskischen Volkes“ einschneidende Auswirkungen gehabt. Nach sieben Jahren gab er das Priesteramt auf, weil sich „die Kirche vom Evangelium entfernt hat, das auf seiten der Unterdrückten steht“, wie er erklärt. Kurz danach trat er aus der Kirche aus. Bei seiner Hochzeit ließ er sich gleich gar nicht kirchlich trauen, seine Kinder sind nicht getauft. Sein neuer Glaube, der an das baskische Volk, hat ihn zwar nicht enttäuscht, aber er verlangt volle Hingabe. „Heute wird in Oiartzun mehr Kastilisch gesprochen als in den sechziger Jahren!“ Mitschuld daran tragen laut Ostolaza die andalusischen Immigranten, die von der Zentralregierung hergeschickt werden, um das Baskische zu verwässern. Doch er ist zuversichtlich: „Gott sei Dank sind wir dickköpfig. Sonst gäbe es schon längst keine Basken mehr.“

Das dickköpfige Beharren auf der Eigenständigkeit hat in Oiartzun wie im ganzen Baskenland Tradition. Die heutige Urgroßvatergeneration verteidigte die baskischen Rechte in den Karlistenkriegen, die Großväter, vor allem die Mitglieder der konservativ-nationalistischen Partei PNV, mußten nach dem Sieg Francos ins Ausland flüchten oder saßen jahrelang im Knast. Einige der heutigen Vätergeneration sind zur ETA gegangen oder haben sie zumindest unterstützt. „Früher sind hier am Wochenende die Familien mit Eßkorb und Klamotten losgezogen, um ihre Verwandten in der ETA zu treffen“, erinnert sich Julian Bergaretxe, Vorsitzender der PNV in Oiartzun. „Nicht, weil sie alle einverstanden gewesen wären mit der ETA, sondern weil es eben ihre Angehörigen waren.“

Auch er selbst versteckte Txomin, den inzwischen verstorbenen ETA- Führer, eine Nacht bei sich zu Hause, „weil der, mit dem er kam, aus Oiartzun war.“ Heute würde er das nicht mehr tun. „Wir von der PNV haben das demokratische Spiel anerkannt. Wir fühlen uns vom Staat nicht unterdrückt. Wer uns unterdrückt, ist die ETA.“

Im vergangenen Jahr ist durch Videoaufnahmen aufgeflogen, wie die ETA zwei Unternehmer aus Oiartzun zur „Revolutionssteuer“ erpressen wollte. Doch auch im täglichen Leben sei der Druck zu spüren. „Wenn man unter Franco etwas Regimekritisches sagen wollte, sah man sich erst mal um“, Julian Bergaretxe schaut prüfend nach hinten — „wenn man heute etwas über die ETA oder Herri Batasuna sagen will, macht man dieselbe Geste. Es ist dieselbe Angst.“ Jon Inarra, der Bürgermeister des 8.400-Seelen-Dorfes, gehört der Herri Batasuna an. Er ist ein guter Bürgermeister, der sein Dorf zusammenzuhalten versteht und Industrie anzieht, das muß selbst Julian Bergaretxe zugeben, auch wenn er sich andererseits mit den Hausbesetzern gut versteht und auf den Gemeinderatssitzungen das Chaos zuläßt. „Gewählt wurde Jon in erster Linie wegen seines Vaters, der war ein bekannter PNV-Mann hier“, versichert Jose Mari Sanzberri. Keiner Partei zugehörig, hat der agile Sanzberri doch überall seine Finger drin. „Die Älteren hier wählen PNV. Die Jüngeren wählen Herri Batasuna, und die ganz Jungen interessieren sich nicht für Politik“, doziert er in seinem gardinenverhangenen Büro in der Kutxa, der Provinzsparkasse, wo er Hof hält.

Vor ein paar Jahren wäre ihm beinahe die Jovialität abhanden gekommen: Das war, als seine Tochter, zwanzigjährig, sich plötzlich für Herri Batasuna zu interessieren begann. „Stell dir mal vor, der Vater Sparkassendirektor und die Tochter bei HB!“ Doch dann folgte sie dem Geist der Zeit und interessiert sich seither nur noch für ihr Studium. Ihr Vater kann wieder beruhigt seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: dem Heimatstudium. „Ich gehe jeden Tag spazieren und kenne eigentlich alles. Aber jedes Mal finde ich einen neuen Stein am Weg, den ich noch nie gesehen habe, oder eine neue Farbe an den Blättern“, führt er begeistert aus. Mit Ameiseneifer hat er Namen von Bauernhöfen, Wiesen und Hügeln zusammengetragen und auf einer detaillierten Landkarte von Oiartzun niedergelegt. Jedes Jahr gibt er ein Jahrbuch seines Dorfes heraus, das er mit selbst geknipsten Fotos bereichert. „Wir Basken haben eine sehr archaische Bindung an unsere Heimat.“

Eine Heimat, die in den Augen mancher noch immer vor der Vernichtung bewahrt werden muß. „Am liebsten wäre mir der friedliche Weg von Ghandi“, sagt einer zur taz. „Aber auf diesem Weg schreitet niemand. Was bleibt also, um das baskische Volk zu retten? Der bewaffnete Kampf. Die ETA. Sonst nichts.“