Aller Laster Ende

■ Weißer Arbeitsmythos im schwarzen Afrika

Müßiggang ist aller Laster Anfang“ — Generationen von Deutschen sind mit Sprüchen wie diesem zu Fleiß und Arbeitsdisziplin erzogen worden. Doch während solche alten Weisheiten in Europa inzwischen aus der Mode gekommen sind, beschäftigen sich in anderen Teilen der Welt nach wie vor unzählige „Experten“ damit, europäische Areitsethik zu exportieren.

Aber die Arbeitsgesellschaft in der sogenannten Dritten Welt nur selten. Besonders offensichtlich ist dies in Afrika: Anstelle emsiger FabrikarbeiterInnen, die morgens in Massen brav zum Fließband strömen und abends ebenso brav wieder nach Hause, beherrschen Armut, Verelendung und oft Hunger das Bild — Tendenz zunehmend.

„Die Einführung der Arbeitsgesellschaft hatte in Afrika vor allem einen Effekt: Millionen Menschen wurden zu Arbeitslosen ernannt“, lautet denn auch das Fazit eines rororo-aktuell-Bandes mit dem provokanten Titel Der faule Neger. Dahinter verbergen sich 280 Seiten über den „weißen Kreuzzug gegen den schwarzen Müßiggang“ (so der Untertitel).

Inhaltsverzeichnis und Einleitung versprechen eine breite Darstellung des Themas: von der Entstehung des Mythos Arbeit in Europa über die ersten Weißen in Afrika und die rechtliche Durchsetzung der neuen Wirtschaftsweise bis hin zu der Frage „Scheitert die Arbeitsgesellschaft in Afrika?“

Doch noch bevor sich die LeserInnen richtig eingelesen haben, beschleichen sie Zweifel. Afrika? Gleich nach der Einleitung ist nämlich nur noch von Simbabwe die Rede, von der ehemaligen britischen Kolonie (Süd-)Rhodesien und den dort lebenden Völkern der Ndebele und Mashona. Bin ich im falschen Film beziehungsweise Buch? Ach nein, ich habe nur im Vorwort den Halbsatz überlesen, mit dem darauf hingewiesen wird, daß das Thema „am Beispiel Simbabwe“ abgehandelt wird. Warum ausgerechnet Simbabwe, und was an der Geschichte der ehemaligen weißen Siedlerkolonie — neben Südafrika, Namibia und Kenia die einzige auf dem riesigen Kontinent — beispielhaft für ganz Afrika sein soll, wird nirgends erklärt. Es läßt sich also nur mutmaßen, daß der Arbeitsschwerpunkt Simbabwe, den Herausgeber Reimer Gronemeyer mit seinen Ko-AutorInnen teilt, der Grund ist.

Die Beschränkung des Anspruchs auf das südliche Afrika wäre ehrlicher und korrekter gewesen. Sicher, auch in anderen Teilen Afrikas hat es Zwangsarbeit gegeben, und überall pflegen weiße GastarbeiterInnen ihr Ego, indem sie über „faule Neger“ klagen. Doch der Versuch, ganze Landstriche und ihre BewohnerInnen für weiße SiedlerInnen in Besitz zu nehmen sowie die daraus resultierende Apartheid-Gesellschaft unterscheiden sich zu sehr von der keineswegs totalen kolonialen Durchdringung in anderen Regionen, als daß eine Verallgemeinerung zulässig wäre.

Die Feststellung beispielsweise, daß, wer Afrika zur Arbeitsgesellschaft bringen will, die traditionellen Bindungen an Verwandtschaft und Boden zerstören muß, ist zwar allgemeingültig. Die Maßnahmen, mittels derer dies im südlichen Afrika versucht wird, sind jedoch sehr spezifisch. In der Darstellung dieser spezifischen Entwicklung liegt denn auch die Stärke dieses Buches. Auf vielfältige Weise, leider nicht ohne langatmige Widerholungen, beschreiben die sechs AutorInnen die Geschichte der Zerstörung traditioneller Strukturen in Rhodesien/Simbabwe: es begann mit dem Landraub; dann kam die Hüttensteuer, die die Menschen in die Geldwirtschaft und damit in die Lohnarbeit der Bergwerke zwingen sollte. Doch zunächst bewirkte dies nur eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion. Den Überschuß verkauften die Bauern dann gegen Geld. Paßgesetze, die „Masters and Servants Ordinance“, die Einrichtung von „Compounds“, ähnlich den vorindustriellen Arbeitshäusern in Europa, und sogar Regelungen über Brautpreise und Bierverkauf sorgten im Verbund mit massivem Gewalteinsatz für den Zusammenbruch jeglichen Widerstands.

Einen schalen Beigeschmack hinterlassen die Passagen in Einleitung und Resümee, wo bedauert wird, daß die Rückkehr zu einem „subsistenten, selbstgenügsamen Alltag“ versperrt sei. Afrika hat nie nur „selbstgenügsam“ gewirtschaftet, und viele seiner Regionen haben schon lange vor der Kolonisierung durch die Europäer untereinander und mit Europa und Asien Handel getrieben. Aber Mythen verschwinden halt nur langsam, auch aus den Köpfen von Menschen, die es eigentlich besser wissen müßten. Thomas Mösch

Reimer Gronemeyer (Hrsg.): Der faule Neger. Vom weißen Kreuzzug gegen den schwarzen Müßiggang. Rowohlt Taschenbuch Verlag (rororo altuell), 283Seiten, 14,80DM.