Crash

„Crush“ von Alison Maclean im Wettbewerb  ■ Aus Cannes Thierry Chervel

Was macht man, wenn man allein und ohne Zeitung frühstückt? Man liest das Etikett des Marmeladenglases. Lane wird die Idylle des Schriftstellers Colin schon noch ins Wanken bringen.

Seltsam: Die besten Bedingungen für „Frauenfilme“ — ich meine solche, die die hiesigen Trottas und Akermans zum Erröten bringen müßten — herrschen ganz offensichtlich in Neuseeland. Nach Jane Campion nun also Alison Maclean. Produzentin von Crush, Macleans erstem Langfilm, ist Bridget Ikin, die auch Campions An Angel at my Table auf die Beine stellen half. Co-Autorin des Drehbuchs ist Anne Kennedy. „Crush ist ein Frauenfilm“, sagt Alison Maclean in der Pressekonferenz, „für Frauen und Männer.“

Lane (die bestürzende Marcia Gay Harden) geht wie eine Seiltänzerin, wie auf einer Linie. Wenn sie die Balance verliert, reißt sie andere mit. Sie ist rücksichtslos, fahrlässig, glamourös und zynisch sie selbst. Sie trägt eine rote Lederjacke zu grünem Minirock und lila Body mit Reißverschluß zum Décolleté. Sie fährt die Journalistin Christina zum Interviewtermin mit Colin. Sie rast. Am Straßenrand eine täuschend echte, lebensgroße blonde Plastikpuppe mit Reklameschild. Das Auto schlägt ein Rad im Straßengraben.

Lane bleibt „unverletzt“. Christina ist übel zugerichtet, schwere Kopfverletzungen, Lähmungen. Lane wird sie nicht im Krankenhaus besuchen. „Christina steht mit einem Bein im Grab, mit dem anderen auf einer Bananenschale“, sagt sie zu Angela, der fünfzehnjährigen Tochter von Colin. Angela ist begeistert. Aber nur so lange, bis sich Colin mit Lane einläßt. Angela hatte ihren Vater immer ganz für sich allein. Lane verführt ihn beim Haareschneiden, ein Kuß, die aufgeklappte Schere ganz dicht an Colins Ohr. Angela kümmert sich fortan hingebungsvoll um die Rehabilitation der entstellten, spastischen, rüden Christina.

Zwei Dreiecke — Lane, Christina, Angela und Lane, Colin, Angela — überlagern und verhaken sich ineinander, erst am Ende sind alle vier Personen zusammen. Geduldig erforscht die Kamera (Dion Beebe) die Beziehungsgeflechte. Sie übersieht keinen tropfenden Wasserhahn, kein klatschnasses Buch, das am Badewannenrand hinabkriecht wie ein Tier, keine offene Handtasche. Aber sie notiert die Dinge eher nebenbei.

Alison Maclean ist nicht David Lynch. Untergründig pocht die Musik (JPS Experience und Anthony Partos) und kommt nur einmal, in Lanes Tanzszene, ganz zu sich.

Vor allem liebt Alison Maclean Lane, das Plötzliche und Unordentliche an ihr, ihre unter Alkohol entgleisenden Züge, das Blinzeln.

Crush spielt in einem unfertigen Land, in dem die Schöpfung noch nicht ganz verraucht ist. Urwälder raunen, Geysire werfen fette Blasen, Wasserfälle krachen in klaffende Tiefen. Christina stößt Lane. „Ich kann wieder laufen“, lacht sie am Schluß.