Runder Tisch Engholm-Kohl beschlossen

Sozialdemokraten wollen mit der Regierung über die Finanzmisere reden/ Sozis haben jede Menge Sparvorschläge, scheuen aber offene Worte, wem wo was abgezwackt werden soll  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Wahrheit und Klarheit verlangt die SPD von der Regierung — legt diesen strengen Maßstab aber nicht unbedingt an die eigenen Vorschläge an. Nach den Sitzungen von Parteivorstand und Parteirat ist immerhin klar, daß Parteichef Björn Engholm auf jeden Fall am 27.Mai zum Spitzengespräch zum Kanzler geht.

Neuwahlen, große Koalition, Regierungsverantwortung werden indes fast wie unfeine Themen behandelt: Besser, man spricht nicht darüber. Und so gern die SPD betont, daß sie mit den Kosten der deutschen Einheit recht behalten hat — noch immer würde sie am liebsten verdrängen, daß die Frage nach der Finanzierung auch von ihr beantwortet werden muß.

Während Fraktionschef Hans-Ulrich Klose in der vergangenen Woche den „Kassensturz“ fast zum Junktim für das Spitzengespräch zwischen Regierung und SPD erhoben hatte, stellte Engholm vor beiden Parteigremien klar, daß er mit dem Kanzler reden wird. „Breite Zustimmung“ für Engholm im Parteirat, stellte Harald Ringstorff, Parteiratsvorsitzender und SPD-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, fest. Allerdings sei auch sehr deutlich geworden, daß die Sozialdemokraten dieser Regierung nicht nur Hilfsdienste zu leisten gedenken.

Engholm vor dem Parteirat: „Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit diesem Kanzler und seiner Regierung gehe ich davon aus, daß dieser Verein versuchen wird, sich bis 1994 durchzuwursteln. Das bedeutet nicht, daß wir prinzipiell jede Verantwortung ablehnen.“ Das „Finanzdesaster“ ließe sich mit den Waigelschen Eckpunkten nicht bewältigen. Das Motto der SPD: Das teilen muß sozial gerecht sein. „Wir brauchen bei der oberen Hälfte der Gesellschaft — nicht bei den oberen Zehntausend, das reicht nicht aus — eine großen Schnitt, und zwar für viele Jahre im Voraus.“

Wie Engholm präsentierte auch Ringstorff ein wahres Füllhorn von Sparvorschlägen: natürlich den Verzicht auf die Senkung der Vermögens- und Gewerbesteuer, einen mehrjährigen Solidarzuschlag auf die Einkommensteuer für hohe und mittlere Einkommen, eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige, Subventionskürzungen, mehr als die Jäger-90-Kürzung im Verteidigungshaushalt. Summa summarum rechnete die 'Bild‘-Zeitung daraus ein Finanzierungsprogramm von 40 Milliarden zusammen, mit dem die SPD zum Spitzengespräch gehen will.

Die heikle Feststellung indes, daß die „Jahrhundertaufgabe deutsche Einheit“ (Ringstorff) auch den berühmten Otto Normalverbraucher im Westen etwas kosten könnte und er im Osten länger warten muß, bis das westliche Lebensniveau erreicht ist — die schiebt die SPD vor sich her. In gelegentlichen Äußerungen läßt der Parteivorstzende durchblicken, daß das Finanzdesaster „Steuererhöhungen“ erfordert, ohne daß der Zusatz „hohe und mittelre Einkommen“ folgt.

Gefragt nach den Tarifrunden in Ostdeutschland, deutet Engholm durchaus an, „daß es eine gewisse Nähe von Lohn- und Produktivitätsniveau geben müsse“. Aber deutliche Aussagen über die Dauer der Ost-West-Angleichung vermeidet die SPD in diesem Punkt nicht anders als die Regierung Kohl.

Zum Thema große Koalition: kein Redner auf der Parteiratssitzung. Auch über den Weg zu Neuwahlen, so Ringstorff, „ist nicht konkret gesprochen worden“.