Bosnier bleiben draußen vor der Tür

■ An der Peripherie der künftigen westeuropäischen Union herrscht Krieg, gibt es die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg und Deutschland macht seine Grenzen dicht: Während etwa Serben...

Bosnier bleiben draußen vor der Tür An der Peripherie der künftigen westeuropäischen Union herrscht Krieg, gibt es die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg — und Deutschland macht seine Grenzen dicht: Während etwa Serben frei einreisen können, besteht für bosnische Flüchtlinge Visumspflicht.

Es ist ein himmelschreiender Skandal. Es herrscht Krieg in Europa, es gibt eine Fluchtbewegung, wie sie der Kontinent seit dem Zusammenbruch des Dritten Reichs nicht mehr erlebt hat, und Deutschland macht die Grenzen dicht. Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina werden an der bayerischen Grenze abgewiesen. Das Boot ist voll.

Die Situation ist absurd. Bürger aus dem ruhigen Slowenien dürfen visumsfrei nach Deutschland einreisen. Bürger aus dem kriegsgeschüttelten Bosnien-Herzegowina hingegen, das von Deutschland am 7. April ebenfalls als unabhängiger Staat anerkannt worden ist, brauchen ein Visum, weil bislang noch kein „Sichtvermerkbefreiungsregime“ ausgehandelt wurde, wie es in der Amtssprache heißt. Die Bürger Serbiens wiederum, dessen Regierung die Hauptschuld am Krieg trägt, dürfen frei einreisen. Zwar verweigert Deutschland der jüngst proklamierten neuen jugoslawischen Republik, die nun noch aus Serbien und Montenegro besteht, die diplomatische Anerkennung; aber schließlich haben die Bundesrepublik und das alte Jugoslawien 1969 einen visumsfreien Verkehr vereinbart.

Die Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina dürften solche Feinheiten nicht interessieren. Viele haben sich nach Kroatien durchgeschlagen, das nach einer Mitteilung des UNO-Flüchtlingshochkommissariats vom 22. April bereits 135.000 Menschen aus der Nachbarrepublik aufgenommen hat und dazu noch für 325.000 kroatische Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten in der eigenen Republik aufkommen muß. Das an Kroatien angrenzende kleine Slowenien beherbergt nach neuesten Angaben bereits 35.000 bosnische Flüchtlinge — das wäre so, als ob Deutschland anderthalb Millionen aufnähme.

Doch keine Angst, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, soweit kommt es nicht. Da liegt ja Österreich dazwischen. Die Regierung in Wien verlangt zwar keine Visa, aber hat die Sicherheitsdirektionen angewiesen, „einen restriktiven Maßstab bei der Einreise bosnischer Staatsangehöriger anzulegen... und im übrigen, sofern die Voraussetzungen vorliegen, mit Zurückweisungen nach 9 FrPG vorzugehen.“ FrPG steht für Fremdenpolizeigesetz, und dieses sieht vor, daß Einreisende mit gültigen Reisedokumenten an der Grenze zurückgewiesen werden, „wenn der Fremde nicht über die erforderlichen Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und zur Wiederausreise verfügt.“ Zwar relativierte Walter Kratzer, Pressesprecher des österreichischen Innenministers Franz Löschnak, der taz gegenüber auf Anfrage den Sachverhalt. Man habe Anfang Mai die Dienststellen mündlich angewiesen, die Barmittel der Einreisenden nicht zu kontrollieren. Wenn die Kriegsflüchtlinge allerdings „keinen Bezug zu Österreich haben und kein Dokument, können sie nicht einreisen“. Viele wollten aber ohnehin nur nach Deutschland weiter — zu Verwandten oder Bekannten, so Kratzer, „doch haben diese Leute das Pech, daß die Deutschen sie nicht reinlassen.“ Die Regierung in Bonn habe nämlich Weisung gegeben, daß „Visumpflicht für bosnische Staatsangehörige zu verhängen ist“. Die Deutschen hätten schon Ende April, „ohne daß sie das offiziell mitgeteilt haben“, begonnen, Visa zu verlangen. Es habe in dieser Frage bereits im April Gespräche mit Bonn gegeben. Österreich habe eine Lockerung nicht durchsetzen können.

Und so sitzen nun viele Kriegsflüchtlinge in Österreich fest. Allein in Salzburg zur Zeit 500, die Hälfte davon im Hotel Winkler, in der Innenstadt. Fast alle sind sie an der deutschen Grenze gescheitert und suchen hier einen Schlafplatz, berichtet eine Caritas-Helferin aus der österreichischen Grenzstadt.

Um aber nach Deutschland einreisen zu können, „muß der Reisende glaubhaft machen, zu welchem Zweck er kommt“, so ein Sprecher aus dem Bonner Innenministerium. Und der Zweck, Terror und Massaker zu entfliehen, reicht offenbar nicht aus. Zwar haben Hessen und Niedersachsen letzte Woche beschlossen, die Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina zu dulden. Doch an der deutsch-österreichischen Grenze stehen Beamte des bayerischen Innenministeriums — und das ist vom Bundesinnenministerium im April angewiesen worden, Visa zu verlangen. Die Begründung aus Bonn: Bosnien-Herzegowina ist nun unabhängig und fällt somit nicht mehr unter das deutsch-jugoslawische Abkommen, das die visafreie Einreise garantiert.

So bleibt den Flüchtlingen nur die Möglichkeit, an der Grenze einen Asylantrag zu stellen, obwohl die allermeisten von ihnen nur vorübergehendes Bleiberecht wollen. Im April beriefen sich 26.653 Ausländer auf Artikel 16 des Grundgesetzes, allein 10.215 aus Nachfolgestaaten des auseinandergebrochenen Jugoslawien, davon wiederum vier Slowenen und 79 Kroaten. Der größte Teil von ihnen aber kommt aus Bosnien- Herzegowina. Es sind Kriegsflüchtlinge, die dann als „Asylanten“ die „Fluten“ von Ausländern erzeugen, die als Begründung für die Abschaffung des Asylrechts herhalten müssen. Thomas Schmid