Mit Flüchtlingsproblem alleingelassen

■ In Slowenien leben Zehntausende Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten unter untragbaren Bedingungen

Es begann im September 1991 in Kroatien, von wo mehr als 600.000 Menschen — meist Kroaten, aber auch Serben — vor einem zerstörerischen Haß flohen, Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt in guter Nachbarschaft zusammengelebt hatten. Dann kam der blutige Bairam (muslimisches Fest) in Bosnien-Herzegowina — das war am 28. März 92, dem Tag, an dem die Muslims das Ende des Ramadan feiern.

„Die Tschetniks hatten uns ein blutiges Bairam versprochen. Trotzdem hofften wir, daß nichts passieren würde, weil wir in Bijeljina gute Beziehungen zu den Serben hatten. Aber am 1. April schlossen die Tschetniks und die Bundesarmee die Stadt ein. Drei Tage lang verteidigten sich die Muslims mit Straßenbarrikaden. Aber mit bloßen Händen konnten wir die Stadt nicht vor Panzern und Artillerie schützen“, erzählt ein Muslim aus Bijeljina, der sich in eines der slowenischen Flüchtlingszentren in Ljubljana gerettet hat. „Nach dreitägigen Kämpfen haben sie dann die Stadt erobert. Nur wer sich gut versteckt hatte, ist der Folter und dem Massaker entgangen. Sie fuhren die Leichen mit LKWs über die Drina nach Serbien, um ihre Verbrechen zu verbergen.“

Auch in einem der anderen Flüchtlingszentren in Ljubljana, der Hauptstadt der Republik Slowenien, hörten wir solche Berichte von Flüchtlingen aus Städten im Nordosten Bosniens, die an der Grenze zu Serbien liegen: Foća, Višegrad, Bijeljina und Zvornik. Als die Aggressoren die Blockade dieser Städte aufhoben, flüchteten die Bewohner, Muslims, Albaner und Roma. Die meisten konnten „nur“ das nackte Leben retten — ohne die Zeit zu haben, Geld, Dokumente oder irgendeine Habe mitzunehmen.

Unser Gesprächspartner hatte sich als Frau verkleidet und konnte so aus Bijeljina flüchten. Er hat Angst, seinen Namen zu nennen, denn seine Eltern sind in Bijeljina geblieben; als einer der Organisatoren des Widerstands steht seine Name auf sämtlichen Steckbriefen in Bijeljina. Die muslimischen Häuser und Geschäfte dort und in anderen bosnischen Städten wurden, wie vorher schon kroatische in Slawonien, Baranja und im Hinterland von Dalmatien, ausgeplündert, niedergebrannt oder von Serben in Besitz genommen.

Und der Leidensweg der bosnischen Flüchtlinge ist noch lange nicht beendet, denn nicht überall, wo sie hinkommen, sind sie erwünscht. In Kroatien, das selbst mehr als 600.000 Obdachlose, zerstörte Städte und eine vernichtete Wirtschaft hat, ist die Versorgung für mehr als 200.000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina nur noch für wenige Tage gesichert. Die Appelle an Italien und Österreich, endlich ihre Grenzen zu öffnen, sind bisher auf taube Ohren gestoßen. In Slowenien (zwei Millionen Einwohner) sind derzeit fast 40.000 Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina untergebracht. Die Verhältnisse in den 32 Flüchtlingszentren sind untragbar, sie sind mit mehr als 100 Personen überbelegt. Nach wie vor kommen täglich über 1.000 dazu. Inzwischen gibt es auch in Slowenien Schwierigkeiten mit der Versorgung. Die Flüchtlinge bekommen nur zwei Mahlzeiten pro Tag, nur Kinder bis zwei Jahren bekommen täglich einen halben Liter Milch. Medikamente sind Mangelware.

Slowenien erwägt Einreisekontrollen

Bis jetzt haben alle Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina den Flüchtlingsstatus erhalten, unabhängig von Alter und Geschlecht. Doch wegen des starken Andrangs überlegen die slowenischen Behörden inzwischen, Männer zwischen 18 und 65 Jahren nicht mehr nach Slowenien nachreisen zu lassen. Bis jetzt bietet der Flüchtlingsstatus kostenlose Unterkunft und Verpflegung, präventive und ambulante medizinische Hilfe, die, die bei Freunden oder Verwandten leben, erhalten Nahrungspakete.

In einem der vier Flüchtlingszentren von Ljubljana sind 515 Flüchtlinge untergebracht, rund 100 mehr, als es die Kapazität erlaubt. In einem 16 Quadratmeter großen Zimmer drängen sich zum Teil mehr als 16 Personen. Nur sechs MitarbeiterInnen vom Roten Kreuz betreuen die 515 Flüchtlinge. Bewegung außerhalb der Flüchtlingszentren ist nur mit Genehmigung möglich, weil die slowenische Regierung wegen Versorgungsproblemen und Geldmangel Angst vor einem Anstieg der Kriminalität hat. In Slowenien gibt es zur Zeit 15 Prozent Arbeitslose, deswegen bekommen die Flüchtlinge auch keine Arbeitserlaubnis.

Pessimisten schätzen, daß der Krieg in Bosnien-Herzegowina erst im Winter beendet sein wird — was bedeutet, daß immer mehr Menschen vor den Zerstörungen des Krieges fliehen. Es ist jedoch die Frage, wo sie Asyl finden werden. Kroatien und Slowenien sind wirtschaftlich erschöpft, andere Staaten stehen dem Problem mehr oder weniger gleichgültig gegenüber. Viele Flüchtlinge wollen zu Verwandten in westeuropäische Staaten ausreisen, doch schon die österreichischen und italienischen Grenzen sind für sie geschlossen. „Während die Politiker von einer Konferenz zu anderen eilen, zerstören bewaffnete Horden systematisch alles, was muslimisch ist. Solange die Verhältnisse so sind, können wir Muslims nicht nach Hause zurückkehren. Ist es nicht an der Zeit, daß europäische Beobachter und UNO-Friedenstruppen endlich auch in die Region von Bijeljina geschickt werden? Bisher werden wir immer mehr in dem Eindruck bestärkt, daß wir deshalb Opfer sind, weil wir Muslims sind“, sagt resignierend der Flüchtling aus Bijeljina. Nina Kozinc, Ljubljana