Kunst als Sozialhilfe

■ bLICKfANG — Fotoarbeiten 1989-1991 aus der Sammlung der Künstlerförderung

Die Soziale Künstlerförderung feierte 1990 vierzigjähriges Jubiläum. Nach Ausstellungen im Westen Berlins wird nun erstmals im ehemaligen Ostteil eine Schau mit geförderten Fotoarbeiten präsentiert. Anlaß, den Grund dieser Aktivität zu feiern, besteht wohl eigentlich nicht, eher mischen sich die Gefühle, denn die Senatsverwaltung für Soziales springt hier den Künstlern bei, die sich auf dem Markt selbst nicht genügend durchsetzen können.

Angefangen hatte diese Unterstützung für bedürftige Künstler ursprünglich im Rahmen eines Notstandsprogramms für arbeitslose Künstler im Dezember 1950. Auch Berlins künstlerische Infrastruktur war damals zerstört, vom Hinterland abgeschnitten, und die einst große und wichtige Filmindustrie in Babelsberg war plötzlich feindliches Ausland. Hilfe tat also Not. Anfänglich unter dem Namen »Künstlerhilfe« noch dem Wirtschaftssenator unterstellt, wird die Unterstützung unter ihrem heutigen Namen seit 1981 vom Sozialsenat betreut. Bewerben kann sich nur derjenige freiberufliche Maler oder Bildhauer, dessen »jährliches Bruttoeinkommen eine bestimmte Höhe nicht überschreitet«, wie es im Behördendeutsch heißt. Seit 1988 sind auch die Fotografen und Schriftsteller, seit 1990 zudem die darstellenden Künstler zugelassen. Der Senat zahlt diesen Berlinern allerdings keine Alimente, sondern die Rechnung lautet: Staatsknete gegen Kunstleistung. Mit den Künstlern werden nach Auswahl durch eine unabhängige Jury Werkverträge abgeschlossen; die 2.000 bis 6.000 Mark Cash gibt es erst nach Lieferung der Ware Kunst. Die Bilder und Skulpturen landen dann als Eigentum des Landes Berlin zumeist in Amtsstuben und Bürokorridoren. Die besten Arbeiten darf sich die Berlinische Galerie als Leihgabe aussuchen.

Bei den Manuskripten der Autoren ist an die Herausgabe einer Anthologie gedacht, die die Texte der Öffentlichkeit vorstellen soll, während die Schauspieler, Sänger, Artisten in die Projekte des Sozialsenats eingebunden werden; das heißt dann vor allem: Seniorentanz und Kinder- und Jugendarbeit.

So schlägt man in der Behörde zwei Fliegen mit einer Klappe. Das ist aber gleichzeitig auch der Haken der Künstlerförderung, denn sie möchte die Kunst zur Sozialmaßnahme und die Künstler zu Kunstpädagogen und Animateuren machen, was sie gar nicht sind und gar nicht sein sollten. Nur das Konzept einer »autonomen Kunst« könnte unserer Verwertungsgesellschaft widerstehen. Die nun unter der eigenwilligen Orthographie des Titels bLICKfANG gezeigten Fotografen bemühen sich denn auch zumeist recht mühsam, künstlerisch zu erscheinen. Offenbar gilt unter Künstlern — wie für die Jury — das als Kunst, was der gängigen Vorstellung von Fotografie entgegensteht. Das Stichwort heißt Verfremdung. Da heute, so scheint es, jedermann mit seiner vollautomatischen Kamera perfekte Bilder machen kann, muß die Kunst darin bestehen, das Programm der Kamera zu sabotieren. Auf vielen Bildern ist dann auch konsequenterweise kaum noch etwas auszumachen. Wie dumm nur, daß fast alle Arten von Verfremdung und Manipulation am Foto selbst Programm geworden sind. Die künstlerische Avantgarde hat alles längst durchgespielt, und die alten Tricks ziehen nur dann noch, wenn sie wirklich gekonnt angewendet werden.

Das aber ist das Problem auch in dieser Auswahl. Auf Dagmar Uhdes schwarzweißem Vierertableau erkennt man gerade noch, daß es sich wohl um unscharfe Gesichter handeln muß. Das Ganze offenbar bewußt dilettantisch und dreckig abgezogen. So what? Micha Brendel hat seine abfotografierten Gesichter übermalt; etwas Rot, viel Grau und ein bißchen krakelig. So what? Hanna Frenzel zeigt den Schatten einer Hand. Was soll's? Belanglose Motive, belanglose Ideen, belanglose Fotografen.

Eine andere Gruppe macht das Medium selbst zur Botschaft: Ein beliebiges Motiv soll dadurch interessant werden, daß man es in einer besonderen Technik präsentiert. Ricoh Gerbl zeigt zwei Hocker, zusammengesetzt aus neun unter Folie gebrachten Farbkopien. Die Banalitäten nehmen kein Ende. Matthias Hintz stellt durch Bewegung verwischte Kopien auf Transparentpapier aus. Das Ergebnis sind wellenförmige Striche und Formen in hartem Schwarz-Weiß-Kontrast. Die Angaben über die Technik scheinen hier noch interessanter als das fertige Resultat. Beispiel von Ingrid Meyer: Ihr Werk ist laut Katalog eine »Fotoarbeit, manipuliert durch Scanner auf Alu«. Und so geht es weiter. Mal werden Körper-, mal Mauerpartien in Nahsicht abgebildet, mal sind es Reifenspuren oder Verkehrsschilder.

Nur manchmal, wie bei Andrea Sunder-Plassmann, gelingt es, dem Kleinen eine ihm eigene Poesie abzugewinnen. Vielleicht liegt es zuallererst doch am Gegenstand. Riesig groß, in zarten Farben leuchten die Stiefmütterchen aus dem dunklen Grün des Hintergrunds hervor. Die Ästhetik der Aufnahme korrespondiert mit ihrem Objekt, und das Stiefmütterchen rührt einen plötzlich an.

Die ausgebildete Fotografin Birgit Kleber führt die Angemessenheit ihrer Mittel vor ihrem Gegenstand exemplarisch vor. In klassischer dokumentarischer Tradition hat sie Frauen abgelichtet. Das Porträt, die hohe Schule der Fotografie, ist ein besonders sensibles Arbeitsfeld, denn hier kommt es zudem darauf an, mit seinem Modell zu arbeiten. Der Umgang von Mensch zu Mensch ist das Entscheidende. Birgit Kleber hat offenbar ein Talent für Menschen; zu fotografieren hat sie gelernt. Sie zeigt die älteren Frauen alle gleich — und damit vergleichbar — sitzend, frontal und als halbtotale Figur. Kleber spielt die Stärke der Fotografie aus, das Wirkliche abzubilden und festzuhalten, und trotz der alltäglichen Modelle findet man in ihren Bildern so etwas wie Eleganz.

Den anderen Bilckfang der Ausstellung setzt Silvia Breitwieser. Sie studierte Literatur, Psychologie und Philosophie, und ihren Bildern wohnt denn auch eine scharfe Intelligenz inne. Quelle der Darstellung ist nicht das vorgefundene Abbild, jedenfalls nicht in erster Linie, sondern die Idee, die sich ins Bild setzt. Zwei Arbeiten sind zu sehen, beide tragen den gleichen Titel Sans Soucis — Cent Soucis. Die Assoziationen kommen sofort. In einem Bild hat Silvia Breitwieser versucht, die Struktur des Friedrichschen Schlosses »Sanssouci« mittels der Fotografie mimetisch zu wiederholen, statt wie gewohnt bei diesem Medium nur Oberflächen im Bild zu reproduzieren. Dazu hat sie die Glasnischen des Schloßhügels zum Schutz der Feigen und des Weins aufgenommen und in Reih und Glied montiert, das Ganze aber noch einmal so von unten abfotografiert, daß die Szene anmutet wie der in die Höhe aufsteigende Hügel vor Ort. Statt imitatio — mimesis also, zudem der gelungene Versuch, das totfotografierte »Sanssouci« für die Fotografie zurückzugewinnen.

Im anderen Bild testet die Künstlerin die Wirkung der Verbindung von Foto und Text. Durch einen unscharfen Hintergrund etwas behindert, liest man die Fabel von Cura, der Sorge, und Procura. Am Ende wird wissenschaftlich akkurat verwiesen auf Hyginus und Hans Blumenberg. Das Spannende passiert nun während des Akts des Lesens von Sprache und Bild in uns als Betrachter. Die Bild- Text-Korrespondenzen schießen durcheinander, zum einen durch die visuelle Vermischung von Text und Bild und zum anderen durch die Assoziationen im Kopf, befeuert durch die Wechselwirkungen der beiden unterschiedlichen Medien in der Lektüre: Silvia Breitwieser liefert den Beweis dafür, daß man die Grenzen der Fotografie nicht dadurch erweitert, indem man ihre Abbildungsleistung einfach verwischt, sondern indem man mit ihr schöpferisch komponiert. Ronald Berg

bLICKfANG — Fotoarbeiten 1989-1991 aus der Sammlung der Künstlerförderung. Galerie im Parkhaus/Kulturhaus Treptow, Puschkinallee 5. Mittwoch bis Samstag 16 bis 20 Uhr, bis zum 29. Mai.