SOMNAMBOULEVARD — WORTUELLE REALIÄT Von Micky Remann

Uuuh, Uuuh! Klong brngik, Kölfndastl!“ Wer kennt sie nicht, diese mit geschlossenen Augen, aber viel Emphase von SchlafsprecherInnen vorgetragenen Kundtaten, die, zum Ärger aller Wachzuständler, welche die Traumreden zufällig belauschen, Geständnisse sexueller oder sonstiger Fehltritte meist dennoch nicht enthalten? Aber das macht ein Studium des somnambulen Gebrabbels weder sinnlos noch uninteressant, vorausgesetzt, man nimmt einen kleinen Perspektivwechsel vor.

Schließlich sind auch türkische Zeitungen voll mit seriösen Nachrichten, die auf Deutschsprachler wie ein Cocktail aus konkreter Poesie und 'Titanic‘-Satire wirken — solange sie sich im Traum nicht selbst beim Türkischreden ertappen. Nun gibt es hier einen alten Kollegen, Paul heißt er, der sich das Ziel gesetzt hat, die Linguistik der Nachtsprache von innen, das heißt mit ihren eigenen Mitteln, zu durchleuchten. Den Titel seines Buches, an dem er mehrere Nächte hart geträumt hat, lautet: „Von der Umnachtung des Wachzustands zur Umwachung des Nachtzustandes.“ Gerade der Klartraum, sagt Paul, sei hervorragend dazu geeignet, die oft konventionell ineinanderfließenden Hologramme von Wort und Welt, Klang und Sinn zu erkunden. „Um ein konkretes Beispiel zu nennen“, sagt Paul, nachdem ich ihn im Traum darum mehrfach gebeten habe: „Neulich ging ich mal wieder über den Somnamboulevard. Eine wunderschön diffuse Maisonne schien, aber ich ärgerte mich über unsere miesen öffentlichen Verkehrsmittel. Meine Füße schlurften nämlich wie Blei, und außerdem waren mal wieder diese traumüblichen Verfolger hinter mir her. Da dachte ich zu mir selbst: 'Verflixt, wo kriege ich ein Fluchtfahrzeug her, am besten eine U-Bahn?‘ Wobei ich diese ausführliche Frage im Traum mit dem Kurzruf 'UuuH UuuH!‘ codierte, den ich mehrmals intensiv wiederholte. Plötzlich bildeten sich aus meinem Mund Worte heraus, UuuH-förmige Gebilde, wabernde Wortwesen, die wie ein Reigen von Schmetterlingen, bzw. UuuH-terlingen, vor mir rumtanzten. Dennoch blieben mir die Verfolger übel auf den Fersen. Da kam mir die Erleuchtung: Mit aller Kraft lenkte ich meine 'UuuHs‘ vom Mund weg auf den Boden, der sich dabei augenblicklich auftat. Nachdem ich sie um 180° gedreht hatte, formte ich mit meinen U-Buchstaben, oder auch Uch-staben, dann einen metalinguistischen Tunnel. Er hielt! Damit war das schwerste Stück meines wortuellen Realitätsdesigns bereits getan. Die Schienen zu verlegen und eine U-Bahn vorfahren zu lassen, war dann das reinste Kinderspiel. Ich stieg ein und fuhr den Verfolgern wie nichts davon. Wo immer ich das Streckennetz erweitern wollte, blies ich nur neue 'UuuHs‘ in die Erde.“

„Gratuliere, Paul!“ sage ich bewundernd, „nur eine Frage noch: Warum hast du an deine UuuH-UuuH-Hologramme hinten immer ein 'H‘ angehängt?“ „Für wie blöd hältst du mich?“ empört sich Paul, „Ich werde mir doch keine U-Bahn ohne Haltestelle träumen!“