Pan Tau ist für immer verschwunden

■ Ein Nachruf auf den Pantomimen Otto Simanek

Die meisten Leute träumen sich als Kinder groß und werden im Laufe ihres Lebens von selbst klein. Der Mann mit der Melone konnte sich zum Wohl und Vergnügen der Kinder durch einige kurze, rituelle Griffe an den Hut und ein geheimnisvolles Grinsen absichtlich klein machen — aber nur, wenn dazu, wie von Geisterhand, die immergleiche Musik tönte. Es ging so: vier Klopfer, locker aus dem Handgelenk, oben auf die Schüssel der Melone, dann noch kurz waagerecht an der Krempe entlanggewischt, ein schelmischer Blick und: Herr Tau als Zwerg — oder wieder normal lang, je nach Gefahrenlage. Es blieb dabei nicht aus, daß die Kinder, wenn sie irgendwelche Abenteuer gegen grämliche und spießige Erwachsene zu bestehen hatten, den kleinen Herrn Tau irgendwo in der Jacken- oder Einkaufstasche verstaut hielten, während sie durch die Straßen flitzten. Und wenn sich's mal ergab, daß Pan Tau auf ein Haus klettern mußte, machte er das natürlich im Zwergenstatus — um dann oben auf dem Dachfirst wieder in voller Menschengröße und mit aufgespanntem Regenschirm traumsicher die Balance zu halten.

Er war eine Mischung aus Gentleman und stillem Clown: immer im feinen Zwirn, mit Melone und klassischem dunklem Krücken-Schirm — zugleich für jeden Scherz und Streich zu haben, wenn's nur gegen die Feinde der Kinder, die schlechtgelaunten Stiesel aller Art ging. Er verlor nie die Fassung und hatte nicht ein einziges Wort nötig. Die Kinder, sozusagen seine natürlichen Verbündeten, verstanden ihn trotzdem oder gerade deswegen. Ihm gelang das scheinbar unmögliche Kunststück, gravitätische Würde und wetterfesten Humor in einer Person unterzubringen. Wenn ein Abenteuer zu Ende war, verschwand er einfach spurlos — um kurz nach dem Abgang den Kindern doch noch für ein letztes Winken zu erscheinen.

Er war ein Zauberer mitten im Alltag, mystisch und gewöhnlich zugleich. Nur eben ungewöhnlich freundlich, ein wahrer Philanthrop. Wenn's sein mußte, auch gestreng, aber gerecht. Für mich, neben allen schönen Erinnerungen, das Tollste an Pan Tau und seinem Darsteller Otto Simanek: Der Beweis, daß Pantomime auch zu Besserem taugen kann als zum Öffnen nicht vorhandener Türen, zum Anlaufen gegen eingebildeten Wind — und was dergleichen unnütze Faxen mehr sind. Merkwürdig, daß Pan Tau jetzt tot sein soll. Wahrscheinlich hat er nur wieder die Hutnummer gemacht und sich dieses Mal in irgendeine fremde Galaxie verzischt. Mit dem Regenschirm als Flugmaschine. Klaus Nothnagel