Späte Erkenntnis im Hradschin

■ Vaclav Havel versuchte zu lange, die drohende Spaltung der CSFR zu ignorieren

Späte Erkenntnis im Hradschin Vaclav Havel versuchte zu lange, die drohende Spaltung der CSFR zu ignorieren

Lange, zu lange hat es gedauert. Seit nahezu zwei Jahren wächst in der Slowakei die Anhängerschaft der nationalistischen Parteien, seit fast einem Jahr bereitet sich die tschechische Regierung mit Krisenszenarien auf die Trennung der Tschechoslowakei vor, seit mehreren Monaten verkündet auch Vladmir Meciar — der starke Mann der Slowakei — seinen Zeitplan für die Aufteilung der föderativen Republik. Nur einer schwieg stille zu diesem sich immer deutlicher abzeichnenden Ende der CSFR: Staatspräsident Vaclav Havel. In seinen unzähligen Parlaments- und Fernsehansprachen verbreitete er blanken Zweckoptimismus. Auch versuchte er, durch die Ankündigung einer erneuten Kandidatur für das Amt des tschechoslowakischen Staatspräsidenten noch einmal ein hoffnungsvolles Zeichen setzen. Noch am vergangenen Sonntag hatte er in seinen „Gesprächen“ aus dem Präsidentensitz in Lany betont, daß er einigen Ansichten Vladimir Meciars durchaus zustimmen könne.

Wenn Havel nun drei Wochen vor den Parlamentswahlen gar vor einem „gewaltsamen Auseinanderbrechen“ des Staates warnt, kann das nur eines heißen: Auf dem Prager Hradschin stehen die Zeichen auf Sturm. Durchgesetzt hat sich die Ansicht, daß ein Wahlsieg der Nationalisten und damit das Ende der tschechoslowakischen Föderation kaum mehr aufzuhalten sind. Nun wird auch auf offenem Feld der Kampf gegen Vladmir Meciar geführt. Während in den vergangenen Monaten wiederholt versucht worden war, den ehemaligen Ministerpräsidenten als Agenten des Staatssicherheitsdienstes zu denunzieren und zur Abdankung zu zwingen, bezieht sich Havel nun in seiner Kritik einer „ungeordneten Trennung“ der CSFR direkt auf die Pläne Meciars.

Die Formulierung von einem „gewaltsamen Auseinanderbrechen“ und auch der Vergleich mit Jugoslawien und der Sowjetunion gehen jedoch erneut an der Realität vorbei. Einerseits haben die konservativen Politiker Böhmens und Mährens bereits im März deutlich gemacht, daß ihnen die Umsetzung ihrer Wirtschaftsreformen wichtiger ist als der Erhalt des gemeinsamen Staates. Jede militärische Aktion würde die Einführung der Marktwirtschaft behindern. Andererseits werden die nationalistischen Parteien im neuen slowakischen Parlament eine satte Mehrheit zur Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung einer „slowakischen Republik“ haben. Eine militärische Aktion haben sie nicht nötig. Sabine Herre