Havel schließt Teilung der CSFR nicht aus

Berlin (taz) — Mit einem Adjektiv formulierte Staatspräsident Vaclav Havel seine Befürchtungen über die Zukunft der Tschechoslowakei. Am Dienstag warnte er in einer Rede zum Auftakt des Parlamentswahlkampfes vor einem „gewaltsamen" Auseinanderbrechen der CSFR — an seinem baldigen Ende scheint somit auch der Dramatiker immer weniger Zweifel zu haben.

Eine solche Beurteilung der innenpolitischen Situation wurde auch in weiteren Teilen der Fernsehansprache deutlich. Zwar sprach sich Havel — wie kaum anders zu erwarten — für den Erhalt der Tschechoslowakei aus, eine Trennung der slowakischen Teilrepublik von Böhmen und Mähren wollte er jedoch nicht ausschließen. Die am 5. und 6.Juni stattfindenden Wahlen sollten eine „vernünftige Regelung“ der tschechoslowakischen Angelegenheiten ermöglichen, eine ungeordnete Trennung der slowakischen und tschechischen Republik werde ein „Chaos in der Gesetzgebung, den Anstieg der nationalistischen Rachsucht und autoritärer Kräfte sowie die internationale Isolierung, Elend und Leid“ hervorrufen. Die Trennung müsse „verfassungsmäßig“ vor sich gehen, Konflikte wie in Jugoslawien oder der früheren Sowjetunion müßten vermieden werden.

Zugleich waren die Vorschläge, mit denen Havel ein Auseinanderbrechen des 1918 gegründeten Staates verhindern will, nicht gerade neu. Entsprechend den Forderungen der gemäßigteren slowakischen Nationalisten müsse die CSFR in eine „wirkliche Föderation“ mit neuem Geist und einer qualitativ neuen Grundlage umgewandelt werden. Unmißverständlich machte Havel jedoch auch deutlich, wer die Verantwortung für das Ende der Tschechoslowakei zu tragen habe. Der Präsident warnte vor „einseitigem und unüberlegtem Handeln“ gewisser Politiker. Ohne Namen zu nennen, kritisierte er dabei vor allem die Vorstellungen des früheren slowakischen Ministerpräsidenten Vladimir Meciar. Der Vorsitzende der stärksten Partei der Slowakei hatte wiederholt deutlich gemacht, daß nach seinem Wahlsieg das slowakische Parlament eine Erklärung über die "Souveränität der Slowakei“ sowie eine eigene slowakische Verfassung verabschieden werde. In ihr werde auch die bisher nicht existierende Funktion eines Präsidenten der Slowakischen Republik verankert werden. Erst danach solle die Bevölkerung des östlichen Landesteiles in einem Referendum über die „Form des möglichen weiteren Zusammenlebens“ der Tschechen und Slowaken entscheiden.

Wie sehr sich in der Slowakei bereits vor den Wahlen die Kräfteverhältnisse zugunsten eines unabhängigen Staates verändert haben, machte eine Abstimmung in der vergangenen Woche deutlich. Während es den nationalistischen Parteien im vergangenen Jahr wiederholt nicht gelungen war, im slowakischen Parlament eine Souveränitätserklärung auf auf die Tagesordnung zu setzen, stimmten für diese Erklärung nun 73 von 139 Parlamentariern; die notwendige Dreifünftelmehrheit wurde nur knapp verfehlt. Sabine Herre