Stolpe — die Krönung einer Kampagne

Manfred Stolpe nutzt die Anhörung vor dem Untersuchungsausschuß erneut zu fulminanter Selbstdarstellung Der Ausschuß selbst erweist sich mit einer eher harmlosen Befragung als getreues Abbild der Stimmungslage Ost  ■ Von Matthias Geis

Berlin (taz) — An Begriffen herrscht kein Mangel, wenn Manfred Stolpe noch einmal Methode und Zielstellung seiner Stasi-Kontakte erläutert: einwirken, zureden, ringen, lösen, eingrenzen, entkrampfen, regulieren, abwehren, bewirken, erwirken, erdrängen, erhandeln, bewegen.

Neunzig Minuten lang referiert der Ministerpräsident vor dem Untersuchungsausschuß des brandenburgischen Landtages als Zeuge in eigener Sache: „Ich dachte, ich bin es Ihnen ganz einfach schuldig, das einmal zusammenhängend darstellen zu sollen.“ Natürlich kann Manfred Stolpe auch Klartext reden, gelangweilt oder genervt, manchmal schneidend: „Ich hatte keine Führungsoffiziere, ich hatte Gesprächspartner.“ — „Ich war nicht einkaufbar.“

Hin und wieder zieht er in seine ausufernd-eindringliche Rede eine dieser Korsettstangen ein, etwas aus der verbalen Gemengelage, das haften soll: Behauptungen dessen, was in Frage steht. Ansonsten verkauft er weiter die gute Absicht seiner Kontakte als deren erschöpfende Beschreibung. Was „die Kampfpläne der Stasi“ verzerren oder verschweigen, „wie es im wirklichen Leben gewesen ist“, entzieht sich auch weiter der Vorstellung seiner Zuhörer. Mit immer neuen Verben umkreist Manfred Stolpe den konspirativen Teil seiner früheren Tätigkeit.

Wäre das parlamentarische Gremium, das mit der Aufklärung betraut ist, nicht wirklich so etwas wie ein Abbild brandenburgischer Interessen- und Stimmungslagen — ein Glücksgriff repräsentativer Demokratie, wenn man so will —, Manfred Stolpes Art der Rechtfertigung könnte ihm zum Verhängnis werden. Nicht nur, daß seine Ausführungen fortwährend neue Unklarheiten hervorbringen, sondern — bei aller Vagheit — auch neue Widersprüche, die eben mit vagen Formulierungen nicht aufzulösen sind. Zu überspielen bestenfalls: etwa mit einem Kompliment an den Fragesteller, der da einen „spannenden Punkt“ getroffen hat; oder mit dem auch nicht mehr ganz neuen Versprechen: „Die Details müssen noch mehr im einzelnen dargestellt werden.“ Überhaupt— „ein ergiebiges Thema, wenn man DDR-Zeitgeschichte hier noch einmal diskutieren will“.

Solche Sätze transportieren quasi spielerisch die Botschaft an den Ausschuß, daß da einer im Zeugenstand sitzt, der es eigentlich nicht (mehr) nötig hat. Das Signal kommt zurück. Am sichersten von Rosemarie Fuchs (FDP), die jede gelungene Wendung des Ministerpräsidenten mit sichtlicher Genugtuung quittiert. Nun, wenn er jetzt schon mal hier ist, dann entspricht Manfred Stolpe eben dem allgemeinen Bedürfnis nach Aufklärung über das Zurückliegende. Aber daß da von Gleich zu Gleich geredet, gar ein ins Zwielicht Geratener befragt würde, diesen Eindruck weiß Manfred Stolpe schon im Anflug zu zerstreuen. Hier bietet ein Sachverständiger seine Mithilfe an, „in aller Zurückhaltung“.

Wo die sture Insistenz des Bündnis-Abgeordneten Günter Nooke vorwiegend Unbehagen auslöst, bis Stolpe alles wieder souverän in Nebel hüllt, scheint es schon atmosphärisch nahezu unmöglich, den Widersprüchen bis dorthin nachzugehen, wo eine Entscheidung über wahr oder falsch in Sichtweite geraten könnte. Da sind beispielsweise die Rahmendaten der Kontakte: Laut Stolpes Enthüllungstext im 'Spiegel‘ begannen sie 1961, in der Gethsemanekirche datierte er den Beginn auf 1969, jetzt vor dem Untersuchungsausschuß auf 1964.

Auch der Zeitpunkt des Gesprächsabbruchs ist seit vorgestern unklar. Fragte man sich nach seinem 'Spiegel‘-Text, was es im März 1990— lange nach dem Auflösungsbeschluß des Runden Tisches — noch mit der Stasi zu bereden gab, so datiert Stolpe jetzt die „Abmeldebesuche“ seiner Kontaktleute um Weihnachten 89: „Wenn man auf die schnelle so einen Text schreibt...“ geht im Ausschuß als Begründung für die gravierende Änderung glatt durch.

In dem vorabgedruckten Kapitel seines Buches gibt Stolpe eine klare Definition seiner „Mitstreiter“: wechselseitige Information, gemeinsame Strategie, um an unterschiedlichen Stellen des MfS das gleiche „einzuspeisen“: „Ich war ja in ein Team eingebunden“, erklärt Stolpe im Ausschuß. Kurz darauf verwandelt sich das verbindliche Team in „einen Kreis, mit dem ich bilateral immer mal wieder im Gespräch stand“.

Ungeklärt bleibt weiter die Frage eines Verhandlungsmandats der Kirche, das sich auch auf die Staatssicherheit erstreckte. Stolpe: „Mein Mandat war von der Funktion her gegeben.“ Dann, als es ihm mit Nookes Fragen zu bunt wird: „Da muß man sich nicht von außen Gedanken machen, ob das da war oder nicht, es war da.“ Ihn treibt ganz anderes um als Formalismen: „Was ich mit Freunden noch diskutieren werde, ist die Frage des ,Wie‘ — da gibt es ethische Diskussionen.“ Das Feld allerdings für solche Debatten verengt sich gleich wieder unter Stolpes klarer Scheidung zwischen dem, „der sich auf die andere Seite begibt“, und dem, der „tat, was getan werden mußte“. Sicher: „Wer von denen etwas will, muß sich auf deren Arbeitsweise einlassen.“ Aber: „Ein zu nahes Verhältnis konnte nicht in Frage kommen.“ Konspiration? Nennen wir es „Methode der Nichtöffentlichkeit“.

Immer wenn Manfred Stolpes Rede zu einer devot klingenden Formulierung hinübergleitet, steht den Ausschüßlern Herablassendes bevor; ein Angriff auf den Sachverstand des Gremiums, ein Zweifel an seiner Legitimation, den Landesvater mit Unterstellungen und Anspielungen zu strapazieren: Dann bittet Manfred Stolpe „um Nachsicht“; aber das alles sei eben „nur schwer verständlich für Leute, die mit der Materie nicht vertraut sind“.

Ohnehin kommt es ja nicht oft vor, daß Stolpe die Oberhand zu verlieren droht. Er ist der einzige, dem das Lachen nicht vergangen ist. Ihm gegenüber, mit einem Gesicht, als müsse er die ganzen Fragen beantworten, rutscht Lothar Bisky, der Vorsitzende, unruhig auf dem Sessel hin und her. Als PDSler ohnehin gestraft, fürchtet er, jetzt auch noch die ganze Verantwortung für das unpopuläre Unternehmen tragen zu müssen. Wäre da nicht Nooke, der mit bewundernswerter Standhaftigkeit den aussichtslosen Part der Skeptiker im Lande übernommen hat. Er ist es, der nach drei Stunden als erster und einziger dem Ministerpräsidenten ins Wort fällt, als dieser sich wieder allzuweit von der gestellten Frage entfernt. Prompt spricht ihn Stolpe als „Herrn Gauck“ an.

Nein, der Mann ist nicht zu packen, auch dann nicht, wenn trotz des Vorgefühls der endgültig gebrochenen „Kampagne“ die entscheidende Frage bleibt, wie es Stolpe gelingen konnte, ohne adäquate Gegenleistung die Staatssicherheit für die Interessen der Kirche wie der Bedrängten einzuspannen. Stolpe greift zielsicher in den Begriffsbaukasten. Dann werden wieder „Ziele bewegt“, „Gespräche entkrampft“, „Themen angesprochen“ und „Ängste abgebaut“. Nur daß die Stasi über all das nicht mehr „differenzieren konnte, zwischen Freund und Feind, daß sie ohne einen Funken von Einverständnis“ aus Manfred Stolpe den IM „Sekretär“ machte, „das hätt' ich nicht gedacht“. Das wurmt ihn, noch heute.

Ausgestanden — geschenkt. Man nenne einen Wessie, dem man ähnliches zutrauen könnte, mit diesem Instinkt, dieser Zähigkeit und diesem Selbstbewußtsein. Stolpe, der Ossie in der Not, der die deprimierende Debatte über seine Person stellvertretend für alle seine Mitbürger ausgefochten hat. Er hat ihre Ressentiments bedient und ihre Hoffnungen auf Normalität; er hat, während er den Medien die „Hetzkampagne“ vorwarf, die Medien virtuos benutzt, um seine Botschaft zu transportieren. So hat er das Volk hinter sich gebracht, ohne das er am Ende wohl doch gescheitert wäre. Nicht auszudenken, die politischen Verwüstungen eines anderen Ausgangs.

Der Intention der Aufarbeitung mag es dabei in Zukunft ähnlich ergehen wie Bischof Forck, von dem man— laut Stolpe — weiß, „daß, wenn er ja sagt, er ja meint und wenn er nein sagt, nein“. „Mein Geschäft“, so Stolpe vor dem Ausschuß, „war etwas anders.“ Forck blieb prinzipienfest — und uninformiert über Stolpes Kontakte, über das „Wo“ und „Wie“ des „wirklichen Lebens“ — damals. Auch die Protagonisten der Vergangenheitsdebatte werden es — nach Stolpes Durchbruch — schwer haben, sich mit überkommenen Prinzipien in einer veränderten Realität zurechtzufinden. Zuspruch tut not. Es wäre nicht Manfred Stolpe, hätte er ihn am Dienstag abend, vor den laufenden Kameras, nicht noch ausgegeben: „Wir müssen an der Vergangenheit dranbleiben!“