Wohin rollt die Bundesbahn?
: Dürr meint: "Jetzt muß der Eigentümer ran"

■ Rekordverluste von fast 10 Milliarden Mark bei den Bahnen machen die geplante Privatisierung, Regionalisierung und Entschuldung immer dringender. Aber ohne Geld...

Dürr meint: „Jetzt muß der Eigentümer ran“ Rekordverluste von fast 10 Milliarden Mark bei den Bahnen machen die geplante Privatisierung, Regionalisierung und Entschuldung immer dringender. Aber ohne Geld und eine Bonner Politik gegen die LKW-Flut hat der Güterverkehr der Bahn trotzdem keine Chance.

Heinz Dürr lächelt und schwäbelt wie immer gewinnend. Der Chef von Bundesbahn und Reichsbahn sieht sich vor allem als oberster PR-Mann des angeschlagenen Staatsunternehmens in der Pflicht. Und deswegen nutzt er die erste gemeinsame Jahresbilanz beider Unternehmen vor allem für Zukunftsmusik. 50 Prozent mehr Fahrgäste im Fernverkehr und 50 Prozent mehr im Schienennahverkehr wird die Bahn im Jahr 2000 befördern, „wenn sie das machen kann, was sie will“. Und auch im Güterverkehr könne die Bahn bis zur Jahrtausendwende rund 40 Prozent zulegen, wenn es nach Dürr geht. Die konkreten Zahlen, die Dürr anschließend verkünden mußte, waren dagegen weniger gewinnend (siehe Kasten).

Gegen die Milliardenverluste der Bahn konnte der erfolgreiche ICE nichts ausrichten. Eine Milliarde Umsatz erwartet die Bahn von ihrem technologischen Prunkstück. Auch mit anderen Verbesserungen will die Bahn wie alle Jahre wieder ihr Image verbessern. Der Service bei der Abfertigung soll schneller werden. Frankfurt und München sollen mit besonderen Sprinter-ICEs verbunden werden, die ohne Halt durchfahren. Hotelzüge nach spanischem Vorbild und Express-Schalter an der Abfertigung komplettieren das neue Angebot. Der Zug von Berlin nach Dresden wird erstmals mit 160 Stundenkilometern dahinbrausen können, und im Fränkischen wird sich der neue Zug „Pendolino“ erstmals in die Kurve legen, um die Bahngeschwindigkeit zu erhöhen.

Das reicht aber nicht. Wenn die Bahn in den bisherigen Strukturen weiterarbeiten würde, würde sie „von Jahr zu Jahr zu einem größeren Haushaltsrisiko“, so Dürr. Die Strukturreform sei nötig und dafür habe man in den vergangenen Monaten viel gearbeitet. Wenn das Tempo mit der Bahnreform in Bonn so weitergehe, könne die Umsetzung der Reform hoffentlich schon 1993 stattfinden. Aus der Bundesbahn und der Reichsbahn würden dann zwei Aktiengesellschaften. „Die Weichen sind gestellt, jetzt muß der Eigentümer ran.“

Überraschend oft verweist Dürr auf den Eigentümer, die Bundesrepublik, die mit der Bahn „in den vergangenen 40 Jahren wenig freundlich umgegangen ist“. Noch jetzt gewinne er manchmal den Eindruck, als ob man meine, die Bahn gehöre dem Bahnvorstand. Tut sie nicht.

Nicht nur die Eigentumsstrukturen sollen geändert werden, die Bahn will an der Vereinigung nicht nur verlieren, sondern auch gewinnen. So verfolgt die Bahn eine neue Strategie mit ihrem Streckennetz. Keine weiteren Streckenstillegungen: „Die 41.000 Kilometer Streckennetz der Bahn müssen ein Aktivposten sein“, so meint Dürr. „Es wird in den kommenden Jahren mehr Verkehr geben. Verkehr braucht Wege, neue Wege zu bauen ist schwer, aber wir haben sie.“

Die Trendwende beim realen Verkehr wird den Bahnern wesentlich schwerer fallen. „Der Güterverkehr ist eine Frage der Preise. Für Ökologie wird nicht bezahlt, es wird nur drüber geredet“, so Dürr. Der ständige Rückgang der Bahntransporte hänge nicht etwa mit nicht vorhandenen Kapazitäten zusammen. „Die Spediteure gehen alle sofort auf die Schiene, wenn wir billiger sind.“

Ist die Bahn aber nicht. Und Dürr, der weiß, daß hier die Achillesferse aller schön ausgedachten Bahnkonzepte liegt, kann an diesem Punkt noch nachlegen.

Der Meister aller Loks und Schienen sieht bei fairem Wettbewerb selbst beim Sorgenkind Reichsbahn die Talsohle erreicht. Er merkt aber gleichzeitig auch bissig an, daß vom fairen Wettbewerb im Osten nicht die Rede sein könne. „Einerseits haben wir mit Wettbewerbern zu kämpfen, die mit staatlichen Investitionszuschüssen ihre LKW-Flotte auf den neuesten Stand gebracht haben, andererseits mit Wettbewerbern, die bereits abgeschriebene Altlaster einsetzen und so extem billig sein können“, schimpft der Bahnchef.

Die Politiker müßten endlich handeln. „Ich habe mit den Innenministern der Länder gesprochen, daß bei den LKW schärfere Kontrollen stattfinden.“ Häufig genug würden Vater und Sohn mit der Pritsche ständig zwischen Ost und West hin- und hergurken, die Arbeitszeiten auf dem Bock aber nicht einhalten.

Handeln müsse die Politik auch im ökologischen Bereich. Ohne daß der Lastwagenverkehr endlich seine Kosten, auch die Umweltkosten, selbst trage, werde es keinen fairen Wettbewerb geben. Auf die Frage nach einer Energiesteuer gab sich der Bahnchef sybillinisch: „Der Wirtschaftsminister ist auch für die Eisenbahn. Die sind alle für die Eisenbahn, wenn's nichts kostet.“ Kleine Veränderungen und der große Strukturwandel werden den Beschäftigten der Bundesbahn und der Reichsbahn nicht schwerfallen, so gibt sich Heinz Dürr überzeugt.

Die meisten wollten ohnehin vor allem Eisenbahner sein, nicht Beamte. Im Schnitt sind die 230.000 Bundesbahner 45 Jahre alt und die 188.000 Reichsbahner 38 Jahre. Für diese Zeitspanne, also bis die Beamten pensioniert werden könnten, ließen sich mehrere Lösungen denken.

Eine wäre, sie würden bei einem Sondervermögen des Bundes offiziell beschäftigt bleiben: „Man könnte sie dann auf Dauer beurlauben und ihnen nach der neuen Gehaltsstruktur einen Arbeitsplatz bei der Bahn anbieten.“ Besitzstandsverluste dürfe es dabei natürlich nicht geben. Vorher kommt aber das Ceterum Censeo des Bahnbosses: Das Grundgesetz muß geändert werden. Hermann-Josef Tenhagen