Der „große Lauschangriff“ der SPD

■ Die Arbeitsgruppe Rechtspolitik der Partei will per Grundgesetzänderung die Überwachung von Gesprächen in Privatwohnungen ermöglichen/ Die neuen Befugnisse sollen die gängige Praxis eindämmen

Berlin (taz) — Im Schlepptau der Diskussion um die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität soll nun ein weiteres Grundrecht ausgehöhlt werden: Der Artikel13 des Grundgesetzes, der die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ garantiert. Nach dem Willen der Arbeitsgruppe Rechtspolitik in der SPD-Fraktion soll mit einer Grundgesetzänderung künftig auch der sogenannte „große Lauschangriff“, daß heißt, das elektronische Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen in Privatwohnungen ermöglicht werden.

In dem derzeit in der parlamentarischen Beratung befindlichen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Org KG) ist aber nur der „kleine Lauschangriff“ vorgesehen. Dieser sieht vor, daß im Rahmen der Ermittlungen gegen Personen, die schwerer Straftaten verdächtigt werden, Gespräche nur dann abgehört und aufgezeichnet werden dürfen, wenn ein verdeckter Ermittler in der jeweiligen Wohnung zugegen ist. Während beispielsweise der noch amtierende Justizminister Kinkel (FDP) schon den „kleinen Lauschangriff“ prinzipiell als zu weitgehend ablehnt, erhoffen sich die SPD-Politiker um den rechtspolitischen Sprecher Hans de With von ihrem Vorstoß, die herrschende ausufernde Praxis etwa bei den Telefonüberwachungen (TÜ) eindämmen zu können. Im präventiven Bereich, also im Vorfeld der Strafverfolgung, darf die Polizei nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung oder den Landespolizeigesetzen unter bestimmten Voraussetzungen Gespräche überwachen und aufzeichnen. Die Zahl dieser TÜ-Maßnahmen, die in aller Regel mit der Formel „Gefahr im Verzug“ von den Staatsanwaltschaften gebilligt werden, hat sich in den letzten Jahren vervielfacht.

Mit der beabsichtigten Grundgesetzänderung wollen die SPD-Politiker den großen Lauschangriff an einen engen Katalog schwerer Straftaten binden. Der weitgehende Eingriff in das Grundrecht soll, so der SPD-Rechtspolitiker de With gegenüber taz, von der Zustimmung einer Kammer beim zuständigen Landgericht, oder, im Falle einer „Gefahr im Verzug“, von einem Richter am Amtsgericht abhängig gemacht werden. Damit soll unterbunden werden, daß die Strafverfolgungsbehörden wie bisher selbst über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel entscheiden können. Zum zweiten, so argumentieren die SPD-Politiker, sei es bisher in keinem Fall gelungen, in die Spitze einer Mafia-Organisation oder einer terroristischen Vereinigung wie der RAF einzudringen. Die notwendige „Eintrittskarte“ dafür wäre ein „Mitmachen“ — das heißt, ein verdeckter Ermittler müßte sich an Straftaten dieser Organisationen beteiligen. Dies lehnen die Sozialdemokraten der Arbeitsgruppe Rechtspolitik ab. Der „große Lauschangriff“ wird so zum Argument gegen die von der Union geforderte gesetzliche Regelung, wonach verdeckten Ermittler erlaubt werden soll, „milieubedingte Straftaten“ zu begehen. Nicht zuletzt erhofft sich de With von einer Grundgesetzänderung auch eine „rückwirkende Feststellung“, daß die bisherige Praxis der Telefonüberwachungen rechtswidrig ist. Der beabsichtige Effekt: Die Richtlinien der Strafprozeßordnung und der Polizeigesetze müßten sich dann an den neuen Grundgesetztext anpassen.

Der Vorschlag der SPD-Arbeitsgruppe ist bisher weder mit der Fraktion, noch dem Fraktionsvorstand abgestimmt worden. Kommende Woche wird die SPD-Fraktion in Berlin beraten, ob sie der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung zustimmen will. Bei einem positiven Votum könnte ein entsprechender Antrag, der sicherlich von den Unionsfraktionen und Teilen der FDP mitgetragen werden dürfte, an die Verfassungskommission weitergeleitet werden. Eine für die Verfassungsänderung notwendige Zweidrittel-Mehrheit wollte de With gestern noch nicht prognostizieren. Wolfgang Gast