ÖTV-Chefin bangt vor der Basis

■ Heute steht das mit großer Spannung erwartete Ergebnis der ÖTV-Urabstimmung fest/ Warnstreiks in der Druck- und Metallindustrie/ Mögliche Urabstimmung der IG Metall am 20.Mai

Stuttgart (afp/dpa/taz) — Gestern nachmittag endete die Urabstimmung über das Ende des ÖTV- Streiks, heute muß der Gewerkschaftsvorstand in Stuttgart offenbaren, ob die Basis mit wenigstens 50 Prozent ihrer Stimmen dem ausgehandelten Tarifergebnis (5,4 Prozent) zustimmt — oder die Zustimmung verweigert. Offiziell drang dazu gestern kein Sterbenswörtchen aus der Machtzentrale der Gewerkschaft in Stuttgart. Für die ÖTV- Vorsitzende Monika Wulf-Mathies steht mit der Abstimmung nicht nur ihre Glaubwürdigkeit als Tarif-Verhandlungspartnerin auf dem Spiel, sondern auch ihre Wiederwahl als Chefin auf dem ÖTV-Kongreß Mitte Juni. Doch selbst wenn die Mehrheit der Mitglieder den Streik lieber fortsetzen möchte, hat sich die Gewerkschaft in ihren „Richtlinien“ ein Schlupfloch offengehalten: Der geschäftsführende Hauptvorstand kann allein den Zeitpunkt des Streik- Endes bestimmen.

Einen Schatten auf das zu erwartende Urabstimmungsergebnis warfen gestern bereits die nicht gerade als kämpferisch verschrieenen Mitglieder der Deutschen Angestellten- Gewerkschaft (DAG), von denen sich nur 39,3 Prozent für den Tarifabschluß aussprachen. Hier reichen zwar schon 30 Prozent für eine Annahme des Verhandlungsergebnisses, insgesamt spiegelt das Verhalten der Basis allerdings deutlich die Stimmung wider. Bei der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) nahmen 49,4 Prozent der Mitglieder den Abschluß an und beendeten damit ihrerseits den Streik. 25 Prozent Zustimmung hätten bereits ausgereicht.

Der Gewerkschaftsvorsitzende Rudi Schäfer räumte ein, daß das Ergebnis der Urabstimmung „nicht berauschend“ sei. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß es nun bei der ÖTV ein Ergebnis gibt, das deutlich über unserem liegt.“ In der Postgewerkschaft ist wie bei der ÖTV gestern die Urabstimmung abgeschlossen worden.

Unterdessen stehen der westdeutschen Wirtschaft neue Streiks ins Haus. Nach dem endgültigen Scheitern der Tarifverhandlungen in der Druckindustrie erschienen in Westdeutschland zahlreiche Zeitungen nur als Notausgaben. Die IG Medien kündigte weitere Warnstreiks an. Sie sollen bis zum Beschluß über die Urabstimmung am nächsten Mittwoch aber nicht massiv ausgeweitet werden. Insgesamt kam es nach Angaben der IG Medien am Dienstag abend bundesweit zu Warnstreiks in 103 Betrieben. Daran beteiligten sich etwa 9.000 Beschäftigte.

Am Dienstag waren die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen worden, nachdem die Arbeitgeber ihr 3,3-Prozent-Angebot nicht aufstockten und auch die IG Medien bei ihrer 11-Prozent-Forderung für die 225.000 Beschäftigten der Druck- Branche in Westdeutschland blieb. Gleichzeitig riefen die Arbeitgeber den Präsidenten des Bundessozialgerichtes, Heinrich Reiter, als Schlichter an. Für die rund 12.000 Zeitungsredakteure in Westdeutschland haben die Tarifverhandlungen gestern in Bonn begonnen und sind sofort auf den 25. Mai nach Frankfurt vertagt worden.

In der ersten Runde legte der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) zunächst kein Angebot vor. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) und die IG Medien fordern 10,5 beziehungsweise 10 Prozent mehr Lohn, was von den Arbeitgebern postwendend als unrealistisch und „nicht seriös“ zurückgewiesen wurde.

Die Tarifparteien in der Metall- und Elektroindustrie wollen in zwei Tarifregionen noch einen letzten Versuch unternehmen, den drohenden Arbeitskampf in der Branche abzuwenden. Gestern abend wollten die Vertreter der hessischen IG Metall und des Arbeitgeberverbandes zu einer fünften Verhandlungsrunde in Frankfurt zusammentreffen. Auch in dem mit einer Million Beschäftigten größten Tarifgebiet Nordrhein- Westfalen einigten sich die Parteien auf ein Treffen am heutigen Nachmittag. Am Mittwoch haben nach IG-Metall-Angaben in Westdeutschland über 100.000 Metaller erneut an Warnstreiks teilgenommen, um für ihre Forderung nach 9,5 Prozent höheren Einkommen zu demonstrieren. Der IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler hatte am Dienstag angekündigt, daß es ohne Einigung am 20. bis 22. Mai eine Urabstimmung geben wird. Der voraussichtliche Streikbeginn wurde auf den 25. Mai festgelegt, wenn sich die Arbeitgeber nicht doch noch zu Verhandlungen bereiterklären.