EIN BESCHEIDENER VORSCHLAG Von Hans-Georg Behr

Unter dem Stichwort „Deutsche, über die man nicht spricht“, nehmen wir heute den Auswanderer vor, denn er ist unser bestgehütetes Tabu. Jeden Monat sprudeln neue Asylbewerberzahlen auf die Mühlen unserer Uralt- und Neonazis, selbst über die Urgermanen aus dem Osten ist auf Nachfrage Genaueres zu hören, aber bei den Auswanderern müssen wir stets drei Jahre warten. 1989 waren's immerhin 70.347, voriges Jahr sollen's 30 Prozent mehr gewesen sein. Und: Sie wandern, die Miesen, statt zu siedeln. Siedeln tut man schließlich nur in der BRD, klaro.

Die Schampause unserer Bundesregierung ist verständlich. Die uns dauernd sagen, das Boot sei voll, verschweigen uns, was über Bord geht. Seit Kohl ist uns schon zweimal ganz Bonn abhanden gekommen. Unter Adenauer, dem Enkel zum Trost, wanderte allerdings das heutige Köln aus; und Brandt vertrieb immerhin Lübecks Innenstadt.

Vor diesem Hintergrund erübrigt sich die Debatte, ob die BRD ein Einwanderungsland sei, und daß in unserem Auswanderungsland der Osten voranmarschiert, verstehen wir bestens. „Go West, young man“, hießt es ja schon im Binnenverkehr. Von dort aber geht die Post in alle Richtungen ab — selbst für Island haben sich schon welche erwärmt, und Findige lassen sich ihre Renten in den billigen Süden schicken. Ein verständliches Motiv, bei immerhin acht Prozent unserer Aussiedler. Das der restlichen 92 Prozent ist noch verständlicher: Sie haben die Schnauze voll von diesem Staat.

Deutschland war übrigens immer schon ein Auswandererland, und vor tausend Jahren hieß der 15.Mai „Tag der Auslandsdeutschen“. Da gedachte man der Deserteure und Knastbrüder, die am Aufbau der USA mitschuldig waren, der Nazirudel in Brasilien und Südafrika, unseres Tsingtaus und so weiter, und ein schöner Bildband erinnert daran, wo überall die (damals) deutsche Fahne wehte. Wer die Fressen drumherum sieht, muß für den Verlust danken. Heute aber, so hören wir, verlassen gerade die Aktivsten und Selbstbewußtesten unser Land. Die weniger Kühnen — immerhin ein Drittel aller Touristen — erkundigen sich in ihren Paradiesen auf Zeit, ob nicht und wie... Was also hierbleibt, muß konsequenterweise der doofe Rest sein. Da uns diese Erkenntnis deprimieren könnte, wird sie uns von der Regierung auch verschwiegen. Sie lebt ja davon. Mein bescheidener Vorschlag möchte daher sowohl uns Nesthocker aufwerten als auch die „Asylantenflut“ stoppen. Die nämlich kommen, sagt unsere Regierung, weil's hier so gut ist, und das danken wir, sagt sie, ihr. Da wir da fast prinzipiell anderer Ansicht sind, spenden wir gerne den Möllemann nach Sri Lanka, den Waigel nach Afrika (in memoriam Strauß), den Kohl in die hungernde GUS (seine Vorräte reichen ja eine Weile), den Rühe nach Bosnien, die Schwaetzer nach Indonesien und so weiter. Dann haben die dort, was sie hier angeblich suchen, und brauchen nicht mehr kommen. Auch die SPD verteilen wir großzügig in alle Welt, und dann wird es wieder eine Lust sein, hier zu leben.

Das einzige Problem dieser schlichten Lösung: Wenn unsere großen Staatsleute in der ganzen Welt ihre paradiesischen Zustände geschaffen haben, droht uns eine Rückflut der einst ausgewanderten Deutschen. Und sie werden uns zürnen, daß wir sie so drastisch aus ihren neuen Heimaten vertrieben haben. Damit müssen wir leben.