POLENS UNTERWELT MACHT SICH MIT KALASCHNIKOWS VERTRAUT

Wildwest in Kattowitz

Warschau (taz) — Szenen wie aus Wildwestfilmen spielten sich in den letzten Tagen in Polen ab. Bereits ein Polizist kam dabei ums Leben, zwei weitere wurden schwer verletzt, ein zufällig vorbeifahrender Taxifahrer wurde erschossen. Begonnen hatte das Massaker in einer Ortschaft südlich von Warschau mit dem Aufbrechen eines Autos der Marke Polonez. Als die drei oder vier Täter, von denen einer inzwischen identifiziert ist, von einer Polizeistreife kontrolliert werden sollten, eröffneten sie auf die Beamten das Feuer aus einer Maschinenpistole vom Typ Kalaschnikow.

Während der anschließenden Verfolgungsjagd ging ein weiterer Polonez zu Bruch, und zwei deutschen Touristen kam ihr Audi abhanden, mit dem die schießwütigen Autodiebe die nächste Polizeisperre durchbrachen. Unterwegs beschossen sie einen Kindergarten, eine weitere Polizeistreife und einen Taxifahrer aus Kattowitz, der das Zusammentreffen mit dem Leben bezahlte. Zwei weitere Deutsche, die sich im Taxi befanden, wurden verletzt. Schließlich überzeugten die Autodiebe den Fahrer eines Ford mit Hilfe ihrer Maschinenpistolen von der Notwendigkeit, ihnen sein Fahrzeug zu überlassen, das allerdings schon so zerschossen war, daß sie schließlich mit einem ukrainischen Tavra- Kleinwagen Vorlieb nehmen mußten, mit dem sie in die Wälder südlich von Warschau verschwanden.

In ganz Polen wurde unterdessen die Polizei in Alarmbereitschaft versetzt, 5.000 Polizisten durchsuchten die Wojewodschaften Skierniewice und Warschau, überall wurden Straßenblockaden aufgebaut. In die durchsuchte Gegend wurden Anti- Terror-Einheiten beordert, die mit Hubschraubern ausgerüstet sind. Über Radio rief die Polizei dazu auf, keinen Widerstand zu leisten, falls die Ganoven erneut zu erkennen geben sollten, daß sie das Fahrzeug wechseln möchten.

Nach einer ebenfalls äußerst umfangreichen Polizeiaktion in der Wojewodschaft Kattowitz vor einer Woche konnte die Polizei inzwischen mehrere Männer festnehmen, denen vorgeworfen wird, zwei Polizisten beschossen zu haben, die vor einer Woche in Beuthen/Bytom versuchten, zwei Männer zu kontrollieren, die sich an einem Wagen zu schaffen machten. Statt der Ausweise zückte einer der beiden eine Maschinenpistole, erschoß einen 25jährigen Polizisten und verletzte dessen Kollegen schwer. Der verletzte Polizist wird seither im Krankenhaus als Hauptbelastungszeuge von einer Anti-Terror-Einheit bewacht. Daß die Behörden der beiden mutmaßlichen Täter habhaft werden konnte, verdankt sie offenbar der Kattowitzer Unterwelt, die die beiden verriet, um einer nachhaltigen Störung ihrer Geschäfte infolge der intensiven Fahndung vorzubeugen.

Die beiden Vorfälle haben in Polen zu einer heftigen Debatte über den Schußwaffengebrauch durch die Polizei geführt. Obwohl die Polizisten meist nur unzureichend ausgebildet sind, wird nun von Teilen der Presse gefordert, Polizisten auch das Beschießen Verdächtiger ohne Vorwarnung zu gestatten.

Beide Vorfälle werfen auch ein deutliches Licht auf die Ausrüstung der Polizei, die sich mittlerweile um Hilfe an die Bevölkerung wandte, weil — so eine Zeitung — ihr aufgrund der zahlreichen Zusammenstöße und Karambolagen bei der Verfolgung der Warschauer Wildwestschützen bereits die Autos für weitere Aktionen fehlen. Laut 'Gazeta Wyborcza‘ ist der heiße Frühling erst der Anfang: Nach der Statistik für das erste Quartal dieses Jahres ist die Zahl der Morde im Vergleich zum Vorjahr bereits von 179 auf 223 gestiegen. Klaus Bachmann