: Käpt'n Ruprechts Schnellboot
„Westschiene“ präsentierte ihren neuen Namen VOX und viel heiße Luft ■ Von Reinhard Lüke
Lang hat der Berg gekreißt, aber seit Mittwoch ist das Mäuschen da und die Welt um ein Geheimnis ärmer. Punkt 11.00 Uhr MEZ ließen die Verantwortlichen in Köln die dazugehörige Katze aus dem Sack: Der bis dato unter dem Arbeitstitel „Westschiene“ firmierende erste deutsche Nachrichten-Fernsehsender heißt ab sofort VOX. Damit da erst gar keiner an Verstärker, Kekse oder sonst etwas denkt, bittet der Pressetext, doch dem Dumm-Volk ohne Latinum kundzutun, daß das aus dem Lateinischen komme und soviel wie „Stimme“ heiße. Klingt zwar immer noch nach Hörfunk, aber: „Tests haben ergeben, daß VOX gut klingt, schnell zu merken ist und neugierig macht.“
Überhaupt gab sich das Leitungsduo, Geschäftsführer Erich Staake und Programmdirektor Ruprecht Eser, demonstrativ optimistisch, was die Erfolgsaussichten ihres Nachrichtenfernsehens angeht. Nachdem der Hickhack um eine Beteiligung der Ufa beigelegt ist (das Bertelsmann-Tochterunternehmen hat seine Anteile an die Jahr-Gruppe— die von Gruner+Jahr — verkauft), sind die Gesellschafter endlich beisammen. Neben Jahr hält die Westdeutsche Medienbeteiligungsgesellschaft (dahinter verbirgt sich unter anderem die WestLB) rund ein Viertel des VOX-Kapitals. Die andere Hälfte teilen sich das Verlagsunternehmen Holtzbrink, der internationale Medienkonzern TIME- Warner, die Produktionsfirma für gehobenes TV DTCP und die mittelständische Unternehmensbeteiligungsgesellschaft Köln.
Anfang 1993 will man aus dem neuerrichteten Sendezentrum in Köln auf Sendung gehen. Bis dahin soll der Mitarbeiterstab von derzeit 100 auf 350 aufgestockt werden. Auch wenn man dank des „Westschienen-Staatsvertrages“ per Kabel, Satellit und terrestrischer Frequenzen bundesweit auf Anhieb rund 60 Prozent aller deutschen TV-Haushalte erreichen will, gibt man sich hinsichtlich schwarzer Zahlen realistisch. Trotz eines „engen Dialogs mit der werbetreibenden Wirtschaft“ (O-Ton Erich Staake) sind Anfangsverluste in Höhe von 600 Millionen DM für die ersten fünf Jahre einkalkuliert. Wie aus der VOX einschaltquotenmäßig eine Vox populi werden soll, das müssen die Verantwortlichen gegenüber ihren Werbekunden wohl konkreter erklären als am Mittwoch der Presse. Die erfuhr nur, daß jenseits des Gerippes der stündlichen News und den Werbespots die Sendezeit zwischen 7.00 Uhr und Mitternacht mit Magazinen, Reportagen, „Infotainment“(?), Servicejournalen (und dank Alexander Kluge und DCTP) ein bißchen Exoten-Kultur gefüllt werden soll.
Statt konkreter Details gab es in erster Linie vollmundige Sprechblasen. Da bekannte man sich „zum dualen Rundfunksystem der BRD“ (zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowieso), und es war viel vom „Ereignis-Fernsehen“ die Rede. Allen voran Programmdirektor Reprecht Eser — zu seinen ZDF- Zeiten eher ein Mann der leiseren Töne — legte sich verbal so rührend ins Zeug, als hätte er gerade einen Crash-Kurs bei RTL-Chef Helmut Thoma absolviert. Bei VOX solle den Menschen „nicht noch mehr Informationsmüll ins Hirn gedrückt“, sondern „Klartext gesprochen“ werden (bei Pressekonferenzen gelten offensichtlich andere Maximen). „Das Prinzip heißt live“, denn — und auch für diesen Kalauer war er sich nicht zu schade — „Live ist live“. Um dieses Motto einzulösen, werde man neben einem festen Korrespondentennetz auch einen Reporterpool (eine mit Mikros und Kameras bewaffnete schnelle Eingreiftruppe) einrichten. Und überhaupt werde VOX „ein Schnellboot und kein Tanker“ ohne „Leichtmatrosen an Bord“ sein. Wer da künftig als Bildschirmbesatzung (keine Nachrichtensprecher, nur JournalistInnen vor der Kamera) diesem hehren Ethos gerecht werden soll, war hingegen wiederum nicht zu erfahren. Keinesfalls jedoch ein Mann, der auch auf dem Podium saß und sich auf den Vorsatz beschränkte, er werde helfen, so gut er könne: Ex-„Mister Tagesthemen“ Hanns Joachim Friedrichs, bei VOX für „beratungsjournalistische Weiterbildung“ zuständig. Ob der passionierte Kreditkartensegler schon für die Seefahrer-Allegorie zuständig war? Erich Staake: „Wir sind auf Kurs!“ Wenn so viel heiße Luft in den Segeln mal nicht ins mediale Bermudadreieck führt.
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