...die Autos, die die Russen schaffen

Über eine große Sehnsucht und wie sie ausgenutzt wird: Nicht ohne Westauto vom mühsam ersparten Lohn möchten die GUS-Soldaten wieder in der Heimat vorfahren/ West-Autohändler und andere Banditen kassieren ab  ■ Aus Erfurt Henning Pawel

Immer weniger russische Soldaten sind im ostdeutschen Straßenbild zu sehen. Auch ihre merkwürdigen Militär-LKW vom Typ SIS, Sawod imeni Stalina, oder die moderne Version SIL sind fast völlig aus dem Straßenbild verschwunden. Nur noch selten tuckert solch ein, auch Taigaesel genanntes, Fahrzeug übers einstige Bruderland.

Die verbliebenen Söhne und Töchter der GUS steigen um auf andere Fahrzeuge. Sabadnaja Maschina — Westauto, der allgemeine Sehnsuchtsruf.

Jeder Ostmensch kann ihn verstehen. Wie lange haben wir selbst verbiestert im Trabant geklemmt. Doch stehen wir, dem Kanzler sei Dank, längst nicht mehr auf der tiefsten Stufe menschlicher Fortbewegung. Dort rudern jetzt die anderen herum, die Angehörigen der GUS-Streitkräfte in Deutschland. Geschlagen zieht ihre im Felde unbesiegte Armee nach Hause.

Damit die Heimkehr nicht gar so bitter schmeckt, muß, koste es, was es wolle, solch „Maschina“ angeschafft werden. Am gefragtesten nach der Wende waren die Fahrzeuge sowjetischer Bauart, Lada, Moskwitsch, Wolga, Saporosh. Dafür gibt es noch am ehesten Werkstätten und Ersatzteile in der Heimat.

Bemerkenswert der Slogan, mit dem solch ein altes Auto an die GUS- Kundschaft verkauft wird. „Hüte dich vor blonden Frau'n und Autos, die die Russen bau'n.“ Doch Lada, Wolga, Moskwitsch sind fast sämtlich zurückgerollt in das Land, aus dem sie einst kamen.

Nun gilt es, Sabadnaja Maschina, und wenn sie auch löchrig sind wie Schweizer Käse und rumpeln wie der Panzer, mit dem Großväterchen die Spree überquerte.

Anatoli Pokrebinski und Ehefrau, Shanna Albertowna, waren drei Jahre in Deutschland, im Weimarer Nohra-Ensemble der sowjetischen Streitkräfte. Anatoli spielte Trompete. Ehefrau Shanna hat mangels Beschäftigung als Ärztin Kartoffeln geschält, um der D-Mark willen. Eisern haben sie die Jahre über gespart. 3.800 DM ruhten zuletzt in Anatolis Sparstiefel: gewaltiger Reichtum für die beiden. Denn schon legal beträgt das Verhältnis DM zum Rubel 1:75, illegal weit über 1:100.

285.000 Rubel etwa besaßen also die beiden. In der „guten alten Breshnew-Zeit“ Grund genug, als Spekulanten in ein Lager zu wandern. Heute reicht die Kohle aus, um wenigstens für kurze Zeit im heimatlichen Orjol in den Geruch von Millionären zu geraten. Einzige Voraussetzung: ein sabadnaja Auto, in dem man, aus Deutschland kommend, in Orjol vorfährt.

Der Erfurter Autohändler, oder soll man ihn Wohltäter nennen, meinte es gut mit dem Trompeter. Jener Opel Record, Baujahr 1978, kostet eigentlich 5.000 DM, aber für 3.800 kann ihn Anatoli mitnehmen. Der Automann will nur eins bleiben, Mensch. „Sagt es aber bitte nicht den anderen Russen. Sonst kommen die alle und wollen solch ein topbilliges Auto haben.“ Anatoli aber gibt den Geheimtip trotzdem weiter. 19 solcher „topbilliger“ Fahrzeuge verkauft der Erfurter Menschenfreund, ohne rot zu werden, innerhalb zweier Tage an die Soldaten der einstigen Roten Armee.

Schon in Leipzig streikt des Trompeters Wagen. Preiswerter Blick eines sächsischen Schlossers für nur 100 Mark unter die russische Motorhaube. „Nach Orjol? Noch nicht einmal bis Bitterfeld.“ 1.100 Mark kostet die Sanierung und wird drei Tage dauern. Anatoli besitzt noch eine kleine Reserve. Und auch Shanna hat ein wenig Kartoffelschälgeld beiseite gebracht, so daß der wackere Handwerksmann unverzüglich zu Werke gehen kann.

Der Grenzübergang nach Polen. Elf der von ihm vermittelten Autokäufer findet Anatoli dort schon vor. Nicht ein einziger besitzt ordentliche Wagenpapiere. Die Mehrzahl der Fahrzeuge sind stillgelegt. Früher, da hat man die Russen einfach durchgewunken. Sie kommen ja nicht wieder. Aber seit kurzem gibt es eine Weisung, gründlich nachzusehen. So sehr Anatoli, Shanna und die elf anderen bitten, sie müssen zurück, um das Fahrzeug und sich ehrlichzumachen. Das Benzin zurück nach Erfurt 150 DM mit 75 multipliziert=11.000 Rubel.

Der Händler in Erfurt schlägt sich an den Kopf. „Die waren doch früher nicht so an der Grenze.“ Doch bitte sehr, der KFZ-Brief für die Überführungspapiere. Vorher jedoch der Abschluß einer internationalen Versicherung 150 DM, wieder 11.000 Rubel. Dann die internationale Zulassung auf dem Ordnungsamt 40 DM, die Nummernschildkosten weitere 40 DM. Weg samt Benzin wieder zurück.

Diesmal wird die polnische Grenze passiert, Polen durchquert und die Heimat bei Brest erreicht. Hier warten sie sieben lange Tage auf den Einlaß. Dann aber braust er los, der Trompeter, auf der Minsker Chaussee. Noch heute wollen die beiden im Triumph einrollen ins heimatliche Orjol.

Da stehen schon die ersten Tramper. Wie oft ist Anatoli früher selbst mitgenommen worden, und natürlich hält er an. Doch ihr Passagier besitzt eine Pistole vom Typ Makarow. Damit läßt er die beiden aussteigen und Anatoli auch noch die Lederjacke ausziehen.

Nun stehen sie auf der Minsker Chaussee und weinen. Doch sie haben ja noch sich, und sie haben wenigstens ihr junges Leben. So mancher hat selbst dieses nicht mehr.

Die deutschen Straßen nach Osten sind wieder einmal voller Wracks von alten Autos, aber auch von betrogenen und gestrandeten Menschen.

Erbarmungslos, wie ihre Väter ins Land geholt wurden, müssen ihre Söhne und Töchter nun hinaus.