Trotzreaktion der Basis

■ Selbst Kritiker des Tarifabschlusses überrascht

Angespannt verfolgten die Beschäftigten und die Funktionäre der ÖTV gestern die Radiosendungen. Während des Vormittags kam das bundesweite Ergebnis zwar noch nicht über den Äther, aber die örtlichen Abstimmungsergebnisse ließen an dem Trend kaum Zweifel: 67% dagegen in Essen, 60% in Düsseldorf und 68% Neinstimmen in Wuppertal. Diese eindeutige Ablehnung überraschte selbst die Kritiker des Tarifabschlusses. Was tun bei einem bundesweiten Nein? Auf diese Frage hatten die Gewerkschafter vor Ort gestern keine Antwort. „Wir sind jetzt in einer ganz beschissenen Situation“, lautete die ehrliche Antwort des Wuppertaler Kreisvorsitzenden Helmut Herbert. Mit einem „Denkzettel“ hatte Herbert, der in der Großen Tarifkommission gegen den Kompromiß gestimmt hatte, gerechnet, aber daß der so arg ausfallen würde? „Das einzige, was uns jetzt noch hilft, ist Offenheit. Nur ja nichts schönreden“, heißt die Konsequenz für den bei den Stadtwerken beschäftigten ÖTV-Vorsitzenden. Hier stimmten 81% mit Nein. Als Votum für die Fortsetzung des Streiks könne man die Neinstimmen aber wohl nicht werten. Viele hätten in Erwartung einer bundesweiten Zustimmung mit Nein gestimmt, um ihren Frust zu dokumentieren.

Diese Einschätzung wird auch von Felix Blankenstein, Betriebsrat bei den Düsseldorfer Stadtwerken, geteilt. Das sei zunächst einmal eine „Trotzreaktion“, ein „Denkzettel“, was nicht bedeute, „daß man wieder streiken will“. An eine Verbesserung des Ergebnisses, „so ist hier der Tenor“, glaube kaum jemand. Das Austeilen von „Denkzetteln“ habe in der ÖTV im übrigen Tradition. Auch der 1974 nach einem dreitägigen Streik erreichte Abschluß sei nur mit einer äußerst knappen Mehrheit angenommen worden. Rücktrittsforderungen an die Adresse der ÖTV- Vorsitzenden Monika Wulf- Mathies hält Blankenstein für „totalen Schwachsinn“. Immerhin sei „das Lohndiktat“ gebrochen worden: „Es wäre in dieser Situation fatal, wenn jetzt unsere Vorsitzende zurückträte.“ J.S.