Erfahrung macht doof!

■ Anders sitzen! Der Designer Castiglioni im Dialog mit einem Klapphocker

Haben Sie schonmal mit Ihrem Küchenstuhl geredet? Oder vielleicht mit dem Klappsofa? „Man kann auch anders sitzen“ — der unvergleichliche und einzig wahrhaftige italienische Topdesigner Achille Castiglioni hatte zu einer Performance geladen. Ein Gespräch zwischen dem Meister und seinen Sitzobjekten war angekündigt, und es war ganz wunderbar.

Im reetgedeckten Fockeschen Bauernhaus drängelten sich die Neugierigen. Auf der Bühne: eine rote Hochkantliege, eine Couch vom Raumschiff Orion, ein grau- rot-schwarzer Querwürstel-Sessel; an der Wand hängt ein quietschgrüner Ausleger-Dreibeinhocker...

Achille Castiglioni, 74, sitzt, den Kopf zwischen die Schultern geklemmt, auf einem zweistufigen Bänkchen neben Sibylle Kicherer-De Lucchi (er oben, sie unten), rudert wild mit den langen Armen und parliert und ist nicht zu bremsen.

Kicherer-De Lucchi versucht gar nicht erst, ihn zu übersetzen. Er erzählt italienisch, sie über den grünen Klee: „Du bist ein ganz großer wirklicher Meister“ usw. usf. — er versteht nur Bahnhof und lacht.

So schnurrt und gurrt Kicherer-De Lucchi ein Weilchen, bis sie sich besinnt. Ecco — die Philosophie von Signore Castiglioni: Beim Design immer wieder von vorne anfangen! Erfahrung macht alles viel schwieriger. Am schlimmsten ist die Marktforschung, sagt Castiglioni. „Der Tod der Innovation.“

„Und jetzt greife ich in meine Wunderkiste.“ Castiglioni packt aus, und mit dem aufgeregten Kribbel, unbedingt das Spielzeug vorführen zu müssen wird aus einem länglichen grünen Sack ein faltbarer Klappstuhl aus der britischen Kolonialzeit: „Davor habe ich Hochachtung, das ist ein perfektes Konzept“, und plumps sitzt er auch schon und freut sich, daß der Transportsack die Rückenlehne abgibt.

„Hochachtung vor der Bauernintelligenz“ fordert er ein — und präsentiert sogleich einen lombardischen Melkschemel. „Auch das ist perfekt. Und wir haben die Erfindung des dritten Beines.“

Womit die eigenen Objekte dran wären. Ein Fahrradsitz zum Beispiel, auf eine senkrechte Stange montiert, die ihrerseits in einer gußeisernen Halbkugel steckt: Fertig ist der bequeme Telefonhocker aus der Zeit, als die Apparate noch an der Wand hingen. „Die einfache Form für den kurzen Aufenthalt.“

Ein Treckersitz aus den 30er Jahren auf ein federndes Dreibein montiert: „Ich bin ein leidenschaftlicher Treckerfahrer und wollte zuhause das Treckerfahrergefühl haben.“ Wer Castiglioni auf dem Sitz hat wippen sehen, hat's geglaubt. Der quietschgrüne Dreibeinhocker mit den Auslegerbeinen auf Tellerfüßen: „Der ist für draußen. Man sinkt nicht ein und man wirft so wenig Schatten, daß das Gras ungestört wachsen kann.“

Der Prototyp für den schwedischen Kniehocker: von ihm. Ein Barhocker mit Überrollbügel, „wenn man zu viel Bier getrunken hat“ und und. Welch ein Meister, alles kann man gar nicht erzählen. Mehr, mehr, möchte man den Verantwortlichen zurufen. Das war so toll, jetzt wollen wir auch noch mit der Schrankwand reden! Jochen Grabler