„Verantwortungsloser Umgang mit der Gesundheit“

■ Aus den Archiven der Firma Molan: Arbeitsschutz und Arbeitsrecht als vernachlässigbare Größe

„Das ausgezeichnete Betriebsklima zeigt, wie sehr die Dynamik des Unternehmers von den Mitarbeitern als partnerschaftliches Vorbild anerkannt wurde.“ So heißt es in einer Selbstdarstellung der Firmengruppe Molan über den Gründervater des Unternehmens, Erich Dittrich. Mit der Realität hat dies soviel zu tun, wie das Altwerk in Sebaldsbrück mit dem Stand der Technik.

„Anliegend übersenden wir Ihnen die Krankenstatistik über häufig erkrankte gewerbliche Arbeitnehmer für die Periode 78/79. Wir bitten um Überprüfung, ob es sich hierbei um Drückeberger oder um soziale Belange handelt. Sollten dies Sozialfälle sein, so ist energisch etwas zu unternehmen, damit die Mitarbeiter einer Heilung zugeführt werden.“ Das Schreiben des Dittrich Prokuristen Kurtz, mit dem diverse Empfänger zum Bespitzeln von Molan-ArbeiterInnen aufgefordert werden, gibt den im Hause vorherrschenden Ton besser wieder.

Mit dem Krankenstand hatte Molan über die Jahre erhebliche Schwierigkeiten. Schon 1972 klagte Kurtz darüber, daß der Krankenstand in Sebaldsbrück mit 8,31 Prozent „unverantwortlich“ über dem AOK-Durchschnittswert von 2,4 Prozent lag. Die Frage, ob es einen Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen gab, wurde von der Firmenleitung nicht aufgeworfen.

1978 wurde zum ersten Mal in der Molangeschichte ein Betriebsrat gewählt, der die Konfrontation mit der Firmenleitung suchte. Ständige Konflikte gab es um Arbeitssicherheit und die -bedingungen. „Das waren dort damals schon Steinzeitbedingungen“, erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter. Da seien Maschinen mit bloßen Händen und ohne Gasmasken mit dem hochgiftigen Trichloräthylen gereinigt worden. Kollegen hätten unter unvorstellbaren Bedingungen in der Formverschäumung gearbeitet. „Die haben nach ein bis zwei Wochen über Atembeschwerden geklagt.“ Bei Vorsorgeuntersuchungen sei festgestellt worden, daß alle Untersuchten zuwenig Lungenvolumen hatten.

Die Berufsgenossenschaft war häufig zu Gast, die Gewerbeaufsicht auch. Doch die Auflagen wurden meist, wenn überhaupt, dann nur zögerlich erfüllt. Ein besonders gefährlicher Arbeitsplatz bei Molan war der „Kalandrier- Raum.“ Hier wurden die Kunststoffplatten mit einer Haut überzogen. Dabei entstanden hochgiftige Dämpfe. „Insgesamt gestaltet sich die Arbeit unerträglich“, schrieb der Betriebsrat 1980. „Gase geraten durch das fehlende Absaugen auch in die Stanzerei. Durch ein Loch in der Decke stehen die Kollegen ständig in der Zugluft. Ein seit Monaten vorhandener Filter ist bisher nicht eingebaut worden. Mit der Gesundheit der Arbeiter wird recht verantwortungslos umgegangen.“ Nicht nur der Betriebsrat beklagte sich. Auch der Sicherheitsbeauftragte des Unternehmens listete Mängel auf: „Anlage ohne sicherheitstechnische Abnahme eingsetzt“, „nicht funktionierende Pumpenförderung“, „Zustand der Kalandrieranlage nicht geändert“...

Wie einfach die Gewerbeaufsicht zu überlisten war, können Insider erzählen. Wenn sich Beamte wieder einmal zum Besuch angemeldet hatten, wurde die Kalandrieranlage mit erheblich reduzierter Hitze gefahren. Und schon gingen die Emissionen drastisch herunter. Gearbeitet wurde mit der Kalandrieranlage bis zuletzt, auch noch nachdem das Gewerbeaufsichtsamt im Sommer des letzten Jahres die mehr als 30 Jahre alte Blockschaumanlage verplombt hatten. Inzwischen, so geht das Gerücht, sei die Anlage an einem der neuen Produktionsstandorte von Dittrich in der Ex- DDR wieder aufgebaut worden.

Mit denen, die die Anlagen bis zuletzt bedient hatten, machte die Firma dagegen kurzen Prozeß. Noch 1987, als die erste Teilschließung des Sebaldsbrücker Standortes vollzogen wurde, waren die von Entlassung Betroffenen mit einem Sozialplan abgefunden worden. Von dieser Zeit an achtete Molan peinlich genau daruf, daß nie mehr als 19 Arbeitnehmer bei der Molan-Dittrich Produktionsgesellschaft beschäftigt waren. Der Grund: Nach dem Betriebsverfassungsgesetz konnte so kein voll funktionfähiger Betriebsrat gewählt werden und gleichzeitig umging Klaus- Jürgen Dittrich, Sohn von Erich und längst starker Mann im Betrieb, die Notwendigkeit, bei Schließung einen Sozialplan aufzustellen. Fristgerecht wurden die letzten elf Arbeiter dann 1991 entlassen. Doch zu Unrecht, wie das Arbeitsgericht in neun Fällen feststellte. Die Arbeitsrichter urteilten, daß die teilweise mehrere Jahrzehnte für Dittrich tätigen einen Weiterbeschäftigungsanspruch in einer anderen Molan- Firma hätten. Dittrich erkannte das Urteil nicht an lehnte die angebotene Arbeitskraft ab und ging in die Revision.

Das Verfahren wird inzwischen richtig teuer. Außer den Abfindungen wird Dittrich möglicherweise Vollzuglöhne in Höhe von mehr als 100.000 Mark nachzahlen müssen. Doch Dittrich versucht das Gerichtsurteil mit allen Mitteln zu unterlaufen. Inzwischen hat er angekündigt, daß die Molan Dittrich Produktionsgesellschaft liquidiert werden soll, „eine Flucht in den Konkurs“, wie Kenner der verschachtelten Firmengruppe meinen.

Wie schrieb doch Vater Erich 1979 an „meine“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Lassen Sie uns in Zukunft den Weg gemeinsam gehen.“ Holger Bruns-Kösters