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: Besetzerromantik im Bunker

Besetzerromantik im Bunker

Nachts wirkt die öde Landschaft um das allmählich verfallende Esplanade-Haus noch abweisender als zu Mauerzeiten. Für depressive Gemüter könnte das Bungee-Seil am nächstgelegenen Baukran Abhilfe schaffen, den wild campierenden BesetzerInnen von einst bleibt die Erinnerung. Vom Kubat- zum Bermudadreieck: ein bißchen weltverloren schlägt da das kämpferische Herz am menschenleeren Potsdamer Platz. Aus der Ferne tönen HipHop, Techno oder Afroflair. Eigentlich ist man nur zum Vergnügen hierhergekommen.

Seit einer Woche regt es sich auch wieder in den Gewölben des WMF- Clubs, der seit vergangenen Sommertagen den Ruf der einzigen »besetzerromantischen« Diskothek in der Stadt genießt. Nun ist das wilde Völkchen in einen der zahllosen alten Bunker umgezogen, die unweit des ehemaligen Führerhauptquartiers brachliegen. Dort spielt man den Mainstream-Planern in Hassemers Riege einen Streich. Direkt unter dem Potsdamer Platz 1 haben sich die Betreiber im Filetstück der Stadt eingenistet wie Mäuse in einem Kornfeld. Und nach Sonnenuntergang überlassen müde die Bauarbeiter den Clubbern das Gelände, die durch eine der Containerbuden treppab ins Nachtleben stürzen. Morgens um sieben treffen sie wieder aufeinander.

Ein wenig verärgert stürzt man mit. Den ganzen Weg vom U- Bahnhof Stadtmitte entlang haben die REPs mit ihrem blöden Königsblau gepflastert, ohne daß es die Türsteher vom Tresor gestört hätte. Vor dem WMF hängt keine Werbetafel der Partei. Dort steht nicht einmal eine Laterne, und ungelenk stolpert man dem einzigen Lichterschein entgegen. Am Eingang wacht ein freundlicher Hüne über den Schlund in die Tiefe. Er fängt den Nachtblinden mit einem milden Lächeln auf. Von unten schwappt dem Neuankömmling freundlich grummelnder Tanz-Jazz entgegen. Unter den Füßen quietscht und knirscht der frisch gegossene Beton. Erst mit der letzten S-Bahn kommt Leben in den feuchten Untertagebau. Bis dahin bietet die Theke Geborgenheit. Die Barfrauen schieben noch schüchterne Tanzfiguren, später wirbeln sie unermüdlich hinter dem Tresen herum. Freunde werden mit einer ausgiebigen Umarmung begrüßt, selbst für den nervenden Griesgram aus Westfalen haben die beiden ein Lächeln übrig.

Ein kurzer Blick durch die Reihen, wie sich die Szene verändert hat: maßgeschneiderte Anzüge, teure Kostüme. Geleaste Brillengestelle in einer kassenlosen Gesellschaft. Vielleicht schauen heute auch nur ein paar Beamte aus der Stadtplanung bei der Konkurrenz vorbei. In Hörweite amüsieren sich zwei gestandene Graumelierte über die gute Laune der »jungen Dinger«.

Ganz anders als auf den überladenen Techno-Parties springt im WMF der Funke ganz allmählich von Raum zu Raum, ruhig und ausgelassen wie zu Zeiten längst vergessener Siebziger-Sinnlichkeiten. Selbst studentischen StreikaktivistInnen der ersten Stunde schmeckt hier ganz ungeniert der Sekt. Wahrscheinlich wird man im Morgengrauen sogar Betrunkene entdecken, die der High-Tech-Sound in jedem anderen »Cyberspace«- Etablissement glatt hinweggefegt hätte. Bis dahin trinken sie noch ein paar ehrliche Biere und scheißen auf die zusammengepanschte Brainfood-Sauce, die in den Diskotheken der Interzone ausgeschenkt wird.

WMF — Mittwoch bis Samstag, 0bis 7Uhr, Potsdamer Platz1, direkt an der Leipziger Straße.