■ KEIN GERÜCHT
: Totengräber und Bündnissucher

Totengräber und Bündnissucher

Müde plätscherte der Kommunalwahlkampf dahin. Da plötzlich, eine Woche vor dem Wahltag am 24. Mai, hat die Berliner Politik ihr Thema: Marlene Dietrich. Mit ihrem testamentarischen Wunsch, in Berlin begraben zu werden, bot die schillernde Diva dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen plötzlich die Chance, etwas Glanz in seine schäbige Berliner Hütte zu bringen. Und prompt hat Diepgen die Sache vergeigt.

Miserable Organisation ließ die geplante Gedenkgala scheitern. Und dem nervösen Diepgen war dies, den Wahltag fest im Blick, offenbar gar nicht unrecht. Seine Mitarbeiter äußerten sogar Mitgefühl für die Neid- Berliner, die der Diva das feierliche Begräbnis nicht gönnen mochten. Betrachte man die Wohnungsnöte und Arbeitsplatzsorgen, sei der Unmut doch verständlich, hieß es in der Umgebung des Regierenden.

Gleichzeitig vermeldeten die Presseleute in der Senatskanzlei einen Journalistenauflauf, wie zuletzt bei der Öffnung des Brandenburger Tors im Dezember 1989. Und der Grieneisen-Manager Rolf-Peter Lange steht so im Mittelpunkt, wie in seinem Nebenberuf nie: Immerhin ist Lange der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Zu den Totengräbern war er erst vor drei Jahren gekommen. Nachdem die Wähler im Januar 1989 die FDP für scheintot erklärten und für zwei Jahre aus dem Parlament verbannten, entsorgte das Beerdigungsinstitut nicht nur Lange, sondern auch seinen Fraktionskollegen Peter Tiedt.

FDP-Chefin Carola von Braun macht sich unterdessen Gedanken über das politische Überleben ihrer Partei — und bandelt mit dem Bündnis 90 an. »Wir wissen zuwenig voneinander«, erklärte sie und setzte sich am Montag abend zusammen mit dem bürgerbewegten Bundestagsabgeordneten Jens Reich auf ein Podium im Haus der Demokratie. Wo liegen »Gemeinsamkeiten« und »Grenzen«, wollte die FDP-Chefin wissen. Die Differenzen — das zeigte sich — waren gar nicht so groß. Beide verurteilten gleichermaßen den ÖTV-Streik, und Carola von Braun gab sich nach Kräften sozialliberal. »Die soziale Kontrolle der Marktwirtschaft« sei »etwas aus dem Lot geraten«, seit der Sozialismus als Systemkonkurrent ausgefallen ist, bekannte die FDP-Chefin. Niemals würde sie es offen zugeben — aber natürlich drängt sich ihr die Möglichkeit einer Ampel-Koalition auf, wenn sie sich die jüngsten Berliner Umfrageergebnisse betrachtet. Hans-Martin Tillack