ROSSÄPFELRECYCLING IM SCHWÄBISCHEN

Der grüne Punk

Roßapfelrecycling? Auf solche seltsamen Ideen kommen nur die Schwaben, die alles aufheben und nix wegschmeißen. Mein Vater hat meine älteren Brüder immer dann auf die Straße gehetzt, wenn in den fünfziger Jahren die Postkutsche vorbeifuhr und die Pferdchen den Asphalt mit ihren Roßbolla düngten. Ja, für den Kompost war das Zeug gut, und deswegen schickte mein Vater, ein fanatischer Gärtner, denn 's G'müs auf'm Markt isch viel zu deier, seine Kinder aus, die dampfende Scheiße aufzusammeln. Aber wir wissen ja dank Freud und Helmut Kohl, daß sparsame Charaktere anale Charaktere sind: „Es kommt drauf an, was hinten rauskommt.“ Die besondere Haßliebe der Schwaben zu den Exkrementen kann also nicht mehr verwundern. Zwei Marktfrauen, so wird erzählt, stritten sich einst so heftig, daß die eine der anderen einen Roßbolla in den aufgesperrten Mund schmiß. Darauf die Geschädigte: „Ond der bleibt jetz fei drin, bis d‘Bollizei kommt!“

Auch der schon traditionell erstaunlich große Erfolg der Grünen im Ländle ist angesichts dieser Geisteshaltung leicht erklärbar: Hi'g'schissa wird hier fei net, und wegg'schmissa wird au nix! Recycling ist absolut in, und auch wenn der Teufel aus Stuttgart regiert, so geht die allgemeine Vorstellung von der Hölle doch dahin, sie sei ein stinkender, unsortierter Müllabladeplatz. Deswegen auch werden Gehwege und Vorgärten so blitzeblank gehalten, daß sich die Ameisen darin spiegeln können, wenn sie nicht schon vorher als O'ziefer ausgerottet wurden. Aber man soll die allgemeinen Vorurteile über die Schwaben nicht bis zum Durchfall wiederholen. Eine junge aufstrebende Generation von Künstlern und Künstlerinnen hielt vor kurzem im „Sudhaus“, dem größten soziokulturellen Zentrum Tübingens und sogar ganz Baden- Württembergs, dem schwäbischen Analcharakter den Spiegel vor. Selbstredend fand die Ausstellung unter dem leicht eingängigen Motto „Rhydlmpf“ im Unterbauch des Hauses statt. Schon beim Hinabsteigen in den Keller wurde man mit den Exkrementen der Industriegesellschaft, nämlich den Grünen Punkten auf dem angeblich recyclingfähigen Verpackungsmüll, bombardiert. So mit dem eigenen alltäglich produzierten Auswurf konfrontiert, mußten die Gäste einen Gang antreten, den wir Schwaben als professionelle Kotkontrolleure am meisten hassen: die Reise durchs eigene Gedärm. Wie durch eine Geisterbahn huschten wir gebückt durch einen ebenso dunklen wie kurvigen Tunnel aus aufgeschlitzten Plastikmüllsäcken. Zum Empfangskonzert irgendwo im Dünndarm schließlich spielte eine Gruppe scheppernder, lärmender und kreischender Figuren auf, die der Recyclingkünstler Björn Voigt ganz aus Müll und Schrott hergestellt hatte. In anderen Kellerräumen hatten sich eine ihre eigene Scheiße fressende Kuh von Jan Groeneveld, erdbraune Moderbilder von Andrea Gauß und andere seltsame Objekte und Installationen weiterer Künstler versteckt. Eine lehrreiche Expedition durch den schwäbischen Unterleib, die auch ethnologische Überraschungen zutage förderte: Schwaben und Punks, diese beiden auf die Wiederverwertung zerschlissenen Abfalls spezialisierten Stämme, haben eine gemeinsame Wurzel. Bei der Eröffnungs-Trash-Party trugen die Teilnehmer folgendes T-Shirt: „Der Grüne Punk — nicht recyclingfähig— 150prozentig wiederverwendbar.“ Ute Scheub