Putsch der „Alten“ in Aserbaidschan

Nach dem De-facto-Staatsstreich in Baku sagt der neue alte Präsident Mutalibow die für Juni geplanten freien Wahlen ab/ Proteste der Volksfront/ Moskau und Teheran stützen Mutalibow  ■ Von Ömer Erzeren

Istanbul (taz) — „Der Bürgerkrieg ist nun unvermeidlich geworden. Wir werden auch bewaffnet für ein demokratisches Aserbaidschan kämpfen.“ Itibar Mehmedow, Kandidat bei den in Azerbaidschan anstehenden Präsidentschaftswahlen, erfuhr während eines Besuches in der Türkei von dem De-facto-Staatsstreich des Ex-Präsidenten Ayaz Mutalibow, der zum Ziel hat, die alten Verhältnisse zu restaurieren und die ersten freien Wahlen, die für den 7.Juni angesetzt waren, zu verhindern. Am Donnerstag hatte das mehrheitlich mit alten Parteiappartschiks besetzte aserbaidschanische Parlament in einer von der oppositionellen Volksfront boykottierten Sitzung den Anfang März zum Rücktritt gezwungenen Präsidenten wieder eingesetzt.

„Um die nationale Sicherheit zu gewährleisten, kann ich auch eine Diktatur ausrufen“, verkündete der zu neuem Selbstbewußtsein gelangte Mutalibow unter dem Beifall der Abgeordneten. Bewaffnete Milizionäre Mutalibows feierten vor dem Parlamentsgebäude mit Schüssen in die Luft die Rückkehr des in der Bevölkerung verhaßten Präsidenten. Auf Vorschlag Mutalibows rief das Parlament, der ehemalige „Hohe Sowjet“, das Kriegsrecht aus, setzte die für den 7.Juni vorgesehenen Wahlen aus, verbot jegliche politische Betätigung und führte die Pressezensur wieder ein. Der „Nationalrat“, der ein Zugeständnis des Regimes an die demokratischen Kräfte war und legislative und exekutive Funktionen wahrnahm, wurde aufgelöst. Zur Hälfte setzte sich der „Nationalrat“ aus Mitgliedern der oppositionellen Volksfront zusammen.

Zehntausende Menschen demonstrierten gestern trotz Ausrufung des Kriegsrechtes vor dem Sitz der Volksfront in Baku gegen die Wiedereinsetzung Mutalibows. „Auch wenn Blut fließen muß, Mutalibow muß gehen“, rief ein Volksfrontvertreter unter dem Beifall der Demonstranten. Panzer der in Entstehung begriffenen aserbaidschanischen Armee rückten vor dem Gebäude der Volksfront auf, um den Sitz der Oppositionsbewegung gegen eventuelle Attacken von Mutalibow-Anhängern zu verteidigen.

Die Volksfront rief zum zivilen Widerstand und zum Generalstreik auf. „Wir werden diesen Putsch zu Fall bringen. Aserbaidschan als demokratisches Land mit freien Wahlen wird Wirklichkeit werden. Die Weltöffentlichkeit muß Mutalibow stoppen, wenn sie kein zweites Iran will“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Volksfront, Niyazi Ibrahim. Die Volksfront, die von einem Kampf „um Leben und Tod“ sprach, beschuldigte den Iran, Mutalibow materiell zu unterstützen.

Weite Teile der militärisch unbedeutenden aserbaidschanischen Armee stehen auf Seiten der Volksfront, während der Polizeiapparat Mutalibow unterstützt. Der unumstritten wichtigste militärische Faktor in Aserbaidschan ist die russische Armee. Die Volksfront befürchtet, daß die russische Armee indirekt Mutalibow unterstützen wird. Baku, wo sich die Anhänger Mutalibows auf der einen Seite und die Volksfront auf der anderen Seite bewaffnen, glich gestern einem Pulverpaß, das jederzeit zur Explosion bereit ist.

Der Führer der oppositionellen Volksfront, Ebulfehz Elcibey, hatte bereits Tage zuvor vor einem Putsch der alten Regimeanhänger, die danach trachteten, einen Bürgerkrieg zu inszenieren, gewarnt. Es galt als sicher, daß Elcibey bei den Präsidentschaftswahlen am 7.Juni einen überwältigenden Wahlerfolg erzielen würde. Gut informierten Kreisen aus Baku zufolge haben die Reste des sowjetischen Parteiapparates und des KGB am Staatsstreich mitgewirkt.

Moskau wie Teheran haben ein Interesse an der Rückkehr Mutalibows an die Macht. Der Iran befürchtet, daß mit den ersten freien Wahlen die nationalistische und laizistische Volksfront, die eine Vereinigung mit den im Iran lebenden Aserbaidschanern anstrebt, zur Macht gelangen wird. Der den Fundamentalisten-Mollas nahestehende aserbaidschanische Abgeordnete Haci Abdül spielte eine entscheidende Rolle dabei, Mutalibow als Präsidenten wieder einzusetzen. Moskau war ebenfalls beunruhigt, weil die Volksfront die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in Frage stellte und erfolgreich verhinderte, daß Aserbaidschan am Militärpakt der GUS teilnahm.

Die militärischen Niederlagen der Aserbaidschaner in den Kämpfen in Nagorny-Karabach werden geschickt von Mutalibow angeführt, um seine Rückkehr zu rechtfertigen. Insbesondere die Einnahme der letzten aserbaidschanischen Stellung in Nagorny-Karabach, Schuscha, durch armenische Verbände vergangene Woche heizte den innenpolitischen Konflikt, bei dem sich Politiker gegenseitig des „Verrats“ bezichtigten, an. Mutalibow machte in seiner Parlamentsrede nach seiner Wiederwahl die Nicht-Teilnahme Aserbaidschans am Militärpakt der GUS für die Niederlagen verantwortlich und forderte einen Pakt mit Moskau. „Wenn Baku sich in militärischen Fragen nicht mit Moskau zerstritten hätte, wäre Schuscha nicht gefallen.“ Es gilt nicht als Zufall, daß der De-facto-Staatsstreich Mutalibows unmittelbar vor dem GUS-Gipfel in Taschkent stattfand. Mutalibow will eine militärische Anlehnung an Moskau und unterstützt im Gegensatz zur Opposition die Teilnahme an dem von Jelzin geforderten „kollektiven Sicherheitsvertrag“. Angesichts der gespannten Situation in Baku konnte Mutalibow jedoch nicht am Präsidenten-Gipfel in Taschkent teilnehmen.