Metall: Ein letzter Versuch vor dem Streik

Berlin (taz) — Fünf Minuten vor zwölf“, so eine Sprecherin der Industriegewerkschaft Metall, wollen die Tarifparteien der Metallindustrie in Baden-Württemberg versuchen, einen Arbeitskampf in der größten deutschen Branche noch abzuwenden. Die Verhandlungsführer des Tarifbezirks Nordwürttemberg- Nordbaden, Walter Riester von der IG Metall und Dieter Hundt vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall, haben sich für den heutigen Samstag in Karlsruhe kurzfristig zu einem Treffen verabredet, um noch vor Ablauf des auf Montag befristeten Ultimatums der IGM eine Lösung im Tarifkonflikt zu suchen. Wenn es in Karlsruhe keine Einigung gibt, wird die IG Metall auf ihrer Vorstandssitzung am Sonntag die Einleitung der Urabstimmung beschließen. Der Streik könnte dann in der letzten Maiwoche beginnen.

Der Präsident von Gesamtmetall, Hans-Joachim Gottschol (siehe nebenstehendes Porträt), hat inzwischen Kompromißbereitschaft der Arbeitgeber signalisiert, wenn sich die gewerkschaftlichen Forderungen auf die „Erhaltung des Status quo“ beschränkten. Er kündigte ein neues Konzept der Arbeitgeber an, ohne nähere Angaben zu machen, wie dies vom bisherigen Arbeitgeberangebot von 3,3 Prozent abweicht. Der Arbeitgeberchef hatte sich zu Beginn der diesjährigen Tarifauseinandersetzungen vorgenommen, eine „tarifpolitische Wende“ in der Metallindustrie durchzusetzen. Kürzlich hatte er noch verkündet, ein Abschluß in der Metallindustrie dürfe „weder eine Sechs noch eine Fünf, noch eine Vier“ vor dem Komma aufweisen, müsse also auf eine deutliche Senkung des Reallohns hinauslaufen. Insbesondere im Bereich der mittelständischen Industrie, die 80 Prozent der Verbandsmitglieder von Gesamtmetall ausmacht und der sich Gottschol besonders verpflichtet fühlt, gebe es eine starke Strömung, dies auch mit einem Arbeitskampf durchzusetzen.

Von der radikalen Arbeitgeberposition ist Gottschol inzwischen vorsichtig abgerückt. Auch im Arbeitgeberlager, meinte er unter Hinweis auf die gescheiterte Urabstimmung bei der ÖTV, gebe es Leute, „die aufgrund unserer niedrigen Anfangsofferten einen Abschluß erwarten, den wir auch nicht nach Hause bringen können“. Mit dem Abschluß im öffentlichen Dienst von 5,4 Prozent sei eine Marke gesetzt worden, „die man auch mit Geschick und Härte nicht völlig umgehen kann“. Aber eine soziale Komponente wie im öffentlichen Dienst will er in der Metallindustrie auf jeden Fall verhindern, weil dies zu überproportionalen Arbeitsplatzverlusten führe.

Die IG Metall versucht, mit massiven Warnstreiks die Arbeitgeber weichzukochen. Sollte es zum Streik kommen, wird die IG Metall keinerlei Mobilisierungsprobleme haben. Dennoch ist die Gewerkschaft insbesondere wegen der finanziellen und organisatorischen Belastungen in Ostdeutschland an einem Abschluß ohne Arbeitskampf interessiert. Eine Einigung in dem traditionellen Pilotbezirk Nordwürttemberg-Nordbaden wird von Sprechern beider Seiten nicht ausgeschlossen. Kommt sie nicht zustande, ist schon jetzt eine starke Politisierung des Arbeitskampfs vorauszusehen. Martin Kempe