Ziegenbaron pleite — Feuerwehren sauer

Rußlandhilfe mit unbezahlten Lebensmitteln entzweite eine ganze Region/ Ziegenbauer haftet privat und fühlt sich hängen gelassen/ Letzte Hoffnungen auf Geld aus Bonner Töpfen/ „Eifellicht“ will seinen guten Ruf wiederhaben  ■ Aus der Eifel Heide Platen

Harald Huse, groß, blond, Dreitagebart, kräftige, vernarbte Hände und eine leise Schmusestimme. Für die einen ist er ein rotes Tuch, ein Betrüger und Scharlatan, für die anderen ein guter Mensch mit Tendenz zum Unglücksraben. Fest steht: Harald Huse ist pleite und bis über beide Ohren verschuldet. Der Hof des ehemaligen Ziegenbauern aus der nördlichen Eifel, einst Aussteiger und alternativer Vorzeige-Landwirt der Region, ist im März versteigert worden. Frau und Kind haben ihn verlassen. Nun sitzt er, untergekommen bei Freunden, hoch über der Vulkaneifel und sinniert, schwankend zwischen Depressionen und Galgenhumor, wie das alles geschehen konnte.

Also von vorn: Im Sommer 1988 übernimmt Huse, der sich vorher nebenbei ein paar Ziegen hielt, beraten und auch gedrängt von örtlichen Honoratioren, einen mit Landesmitteln geförderten, ausgebauten Hof in Reuth. Er soll expandieren, die Herde vergrößern und den „Stadtkyller Ziegenkäse“ zu einem Markenzeichen der Eifel machen. Kenner loben ihn über den grünen Klee. Der „Ziegenbaron“ hat keinen Pfennig Eigenkapital. Ein Finanzplan zeigt, daß der Hof dennoch florieren könnte. Die Eröffnung wird zum Volksfest. Feinschmecker in den Restaurants in Köln und Bonn delektieren sich an seinem Käse. Die kleine Herde schmucker weißbrauner Toggenburger Ziegen wird zum Ausflugsziel. Huse sonnt sich in seinem Ruhm als Hätschelkind der Lokalpresse. Und dann wird es kompliziert.

Huse meint, der Ärger habe damit begonnen, daß sich seine Förderer, vor allem aber die Landsiedlung Rheinland-Pfalz, schwer verrechnet haben. Die Umbauarbeiten werden immer teurer. Allein der Ziegenstall, der ursprünglich mit 50.000Mark veranschlagt war, kostet nach einem Jahr Planungszeit, im Mai 1988, schon 168.000Mark. Der Vorgang Huse wandert über die Schreibtische, weil die zuständige Außenstelle des Amtes schon in der Planungsphase in Auflösung begriffen war. Die Kreditsummen wachsen stetig an.

Harald Huse flüchtet sich im Winter 1990 aus der angespannten Situation vorwärts in ein neues Engagement. Die Spendenaufrufe für das notleidende Rußland lassen ihn nicht schlafen. Der „Ziegenbaron“ wird zum Macher und Motor einer Hilfsaktion, die die ganze Eifel erfaßt und sich „Ein Eifellicht für Rußland“ nennt. Alle wollen mithelfen. Die örtlichen Freiwilligen Feuerwehren sagen zu, von Haus zu Haus zu gehen und Geld zu sammeln. Huse ordert, vor allem bei zwei örtlichen Lebensmittelmärkten, Normpakete im Wert von rund 300.000Mark. Am zweiten Weihnachtstag fährt der erste Lastwagen-Konvoi, sieben Fahrzeuge mit 48Tonnen Lebensmitteln, Arzneien und Sachspenden, in Richtung Smolensk. Die Wagen sind von örtlichen Firmen zur Verfügung gestellt worden. Wieder ist die Lokalpresse da, alle loben Huse und sind von sich und ihrem Ziegenbauern begeistert. Der orthodoxe Bischof Longin wird Schirmherr und bedankt sich artig auf einer Pressekonferenz, die Kirche übernimmt die Verteilung der Hilfsgüter. Schon im Februar rollt der zweite Konvoi nach Osten. Huse plant einen dritten für den April. Im März berichtet die Lokalpresse erstmals über das Loch in der Kasse der „Eifellichter“.

Inzwischen werden — wenn auch leise — mahnende Stimmen laut. Denn das Sammelergebnis der Feuerwehren deckt sich nicht mit Huses Kalkulationen. Es ist nur knapp die Hälfte des schon ausgegebenen Geldes hereingekommen. Lebensmittelrechnungen in Höhe von knapp 150.000Mark stehen noch offen. Während die Lokalpresse die Dankesbriefe der Smolensker Bürger abdruckt, wollen die Lieferanten ihr Geld sehen.

Huse, der Skeptiker vorher etwas vollmundig beruhigt hatte, im Zweifelsfalle hafte er als Person und mit seinem eigenen Vermögen für die Schulden, hat selber nichts als einen Überziehungskredit bei der örtlichen Sparkasse vorzuweisen. Den sperrt ihm die Bank vorzeitig. Das aber bedeutet das Aus für seinen überschuldeten Hof.

Die Gerüchteküche kocht in den Eifelgemeinden. Das „Eifellicht“ zerstreitet sich untereinander, die Feuerwehren sind wütend, weil Huse ihnen vorwirft, ihre Zusagen nicht eingehalten zu haben. Zu wenige seien zum Sammeln ausgerückt, schreibt er. Gemeindevertreter und Wehrleiter sind beleidigt. Die Bundestagsabgeordnete Elke Leonhard (SPD) zieht ihre Schirmherrschaft zurück und tadelt Huse schriftlich: „Die Wahl Ihrer Worte entbehrt jeder Sachlichkeit.“ Eine Sendung des Regionalfernsehens über Huse, dessen Ziegenherde im September 1991 gepfändet wird, fällt aus: Am Morgen des Sendetages hatte Elke Leonhard in einem mehrseitigen Brief dem Sender ihre Sicht der Dinge dargelegt.

Die Situation ist verfahren und hat unter der Oberfläche einen Trümmerhaufen zerbrochener Freundschaften und verstörter Gemüter zurückgelassen, aus dem sich das „Eifellicht“ im Frühjahr 1991 mit neuen Vorsitzenden und als ordentlich eingetragener Verein herauszuretten versucht. Für die Menschen in der Eifel ist Huse der Sündenbock, er ganz allein sei schuldig an der peinlichen Misere. Er habe sich, geht das Gerücht, wegen seines verschuldeten Hofes persönlich bereichert. Als sich die ersten Rauchwolken verziehen, ist allerdings vielen klar geworden, daß das so nicht stimmt. Huse, der eine Weile alle anderen, Gott und die Welt, für sein Mißgeschick verantwortlich gemacht hat, ist bereit, einzusehen, daß sein Übereifer nicht nur ihm selbst geschadet hat, sondern auch anderen: „Ich bin schuld“, sagt er zerknirscht.

In der Eifel herrscht nach der Rauschwelle der Hilfsbereitschaft Katerstimmung. Huse sitzt auf den Rechnungen, die sich täglich höher verzinsen. Einer seiner Gläubiger ist am Rande des Ruins, und viele ehemalige Mitstreiter haben wegen der offenen Rechnungen ein schlechtes Gewissen. Der zweite Vorsitzende von „Eifellicht“, Christian Hack, erklärte seinen Rücktritt. Er finde es ungerecht, daß Huse jetzt „mutterseelenallein“ gelassen werde. Die, die damals begeistert mitgemacht hätten, seien „als erste wieder abgesprungen“.

Die, die jetzt „kein gutes Haar an Huse lassen“, hätten ihn seinerzeit „die ganze Arbeit allein machen lassen“. Der Mann habe nach der ersten Rußland-Fahrt auf seinem Hof auch noch die ausgeliehenen Lastwagen „alleine putzen müssen“. Hack: „Das ist keine Kameradschaft!“ Die findet er jetzt beim Bergmannsverein, mit dem er die Rußland-Hilfe in diesem Jahr ohne „Eifellicht“ fortsetzte.

Die beiden Lebensmittelhändler würden von ihren Forderungen auch Abstriche machen. Sie haben sich dazu durchgerungen, in Huse nicht länger den alleinigen Übeltäter zu sehen. Günther Schwahlen hat sogar Verständnis für Huse, der „hängen gelassen worden ist“. Die Händler hoffen jetzt darauf, daß die Bundestagsabgeordnete Leonhard, die die Schirmherrschaft über das neugegründete „Eifellicht“ ohne Huse wieder aufnahm, ihnen aus der Klemme hilft. Auf die Dame ist man in der Eifel derzeit allerdings auch nicht mehr gut zu sprechen. Sie habe viel zugesagt, aber nichts davon bisher eingehalten, sie sei nur immer zu medienwirksamen Auftritten erschienen. Ein von ihr angekündigtes Benefiz-Konzert habe nicht stattgefunden: „Die hat hier mehr als Foto- Modell agiert.“ Elke Leonhard weist das weit von sich. Sie habe getan, was sie könne und wolle „alles daran setzen, daß die Aktion wieder in einen guten Ruf kommt“. Aber die Suche nach einem Weg zu einem Finanz-Topf für die „Altlast“ sei bisher erfolglos gewesen.

Die Ärztin Gunhilt Hosius-Hofmann, Vorsitzende von „Eifellicht“, trägt ebenfalls schwer an den offenen Rechnungen. Andererseits sieht sie derzeit nicht, wie sie beglichen werden könnten. Neue Sammlungen sind nach dem Vereinsgesetz zweckgebunden. Weder eine Sammlung für Harald Huse, dessen Name für sie ohnehin ein Reizwort ist, noch eine für die geprellten Lebenshändler hätten, meint sie, eine erfolgversprechende Zugkraft. Währenddessen rollten auch im März 1992 Hilfsgüter mit „Eifellicht“ nach Rußland — diesmal ordnungsgemäß bezahlt. Ein Unternehmer spendete außerdem eine in der ehemaligen DDR abgebaute Poliklinik. Auch Harald Huse hat, wenn er nicht gerade an seine Schulden denkt, neue Pläne. Er sucht Mitstreiter für die Lieferung und den Aufbau von landwirtschaftlichen Maschinen in Rußland. Die Idee ist gut, die Finanzierung nicht gesichert.