PREDIGTKRITIK
: Du meine Seele singe

■ »Cantate« in der Christuskirche an der Hornstraße

Das Cello umschmeichelt uns Kirchgänger mit seinen christlichen Tönen, getragen ertönt es von der Empore. Langsam vermischen sich die Bässe der Orgel mit der Kniegeige und den oberen Pfeifentönen, die nun unmerklich die Führung auf der Empore übernehmen. »Singet dem Herrn ein neues Lied«, ruft uns der Pfarrer zu, »denn er wirkt Wunder!«

Im evangelischen Kirchenjahr ist heute »Cantate« — zu deutsch: Singet! Und so singen wir wenigen Versprengten, die wir den Weg in die Christuskirche an der Hornstraße gefunden haben, heute im Gottesdienst ein Lied nach dem anderen.

Es sind aber keine neuen Lieder, wie es uns der Psalm 98 empfiehlt, sondern eher schon klassische: »Singt, singt Jehova neue Lieder« ist zum Beispiel aus dem Jahr 1798. Oder die Nummer 205 in unserem Gesangbuch: »Lob Gott getrost mit Singen, frohlock Du christliche Schar«, verfaßten die Böbmischen Brüder im Jahre 1544 des Herrn. Zaghaft cantaten wir die alten Schinken gegen die doch sehr dominante Orgel an, auch »Nun freut Euch, liebe Christen gemein, und laßt uns fröhlich springen« von Martin Luther himself reißt niemanden so recht vom Hocker.

Pfarrer Schreiber hat für unsere Singhemmung — Cantate hin oder her! — christliches Verständnis. So manchem sei eben oft alles andere als zum Singen zumute, weiß er, die Kehlen sind vor Kummer dann regelrecht zugeschnürt. Und da soll man noch singen? In Sarajevo, während der Sohn im Gefecht ist? Oder anläßlich eines Erdbebens, wenn die Angehörigen noch unter den Trümmern liegen?

Das alles ist natürlich schwer vorstellber, und doch habe gerade das »Singen aus Verzweiflung« seinen ganz eigenen Sinn. Denn, so erklärt uns der Pfarrer, der es doch irgendwie wissen muß: »Lieder sind wie Fenster, die man aufmacht, um die Trauer und Verzweiflung rauszulassen!«

Wenn man die Lieder des Herrn singt, verhält es sich nämlich so: Eine noch so trostlose Lage verändert sich dann plötzlich, Bitterkeit, Kummer und Verzweiflung verwandeln sich in Jubel. Im Lied ist gerade die Traurigkeit gut aufgehoben, »im Singen wird die Kehle frei, der Bauch atmet leicht, das Herz wird mutiger — bald wird es gar übermütig!«.

Auch unser lieber Herr Jesus war solch ein glücklicher — weil singender — Mensch. In größter Not, dem Neid, der Mißgunst, den Anfeindungen der Menschen ausgesetzt, flüchtete er sich in das Lob Gottes. So steht es bei Matthäus.

»Sie konnten Jesus töten«, weiß Pfarrer Schreiber aus seinem Bibelstudium, aber sie konnten ihn nicht auslöschen. Denn wenn wir nun die Lebens- (und Sing-)weise Jesu überstreifen wie ein Kleid, ein Hemd oder eine Hose, dann zieht seine Barmherzigkeit, seine Leichtigkeit und seine Geduld doch noch in der Welt ein. Und der Mantel seiner Liebe liegt über allem (über dem Kleid der Barmherzigkeit, der Hose der Leichtigkeit und dem Hemd der Geduld).

»Und so regiert der Friede Christi in Euch — und seine Worte auch!« beschließt der Pfarrer den großen Bogen seiner Predigt am heutigen Sonntag »Cantate« und kehrt zum singenden Lobpreisen zurück. »Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön« heißt es im Psalmlied 197, das wir nun gemeinsam erklingen lassen wollen. Wir tun das jetzt — nach den Ermahnungen der Predigt — mit freien Kehlen, lockerem Bauch und mutigem Herzen. Und wie das gleich ganz anders klingt... Klaudia Brunst