DIE 5. GEWALT — WEGE DURCH DEN MEDIENDSCHUNGEL Von Ben Vart

Einmal im Mai erfreut uns der Wirtschafts-Kurier, der den drucktechnischen Vorteil der frontalen Vierfarbigkeit mit einer gewissen Inaktualität bezahlen muß. Schon beispielsweise der Kommentar zum ÖTV-Streik in der gerade erschienenen Ausgabe:

Monika Wulf-Mathies muß doch wissen, was im Durchschnitt volkswirtschaftlich noch tragbar ist. Warum schichtet sie nicht um, verlangt für Pflegeberufe und Polizei mehr, für die anderen dafür weniger? Wegen der Kameraderie und Gleichmacherei der Genossen?

Sagte ich schön? In einem Satz die Angleichung zwischen den Schlechter- und den Besserverdienenden zu fordern und im nächsten zu unterstellen, die Gewerkschaftsspitze verhindere solch vernünftige Regelungen wegen der üblichen sozialistischen „Gleichmacherei“ bei den „Genossen“. Autor „de“ (Kurzform für „Der Einfaltspinsel“?) abschließend: „Es geht um die Struktur, vor den Prozenten.“ Manchmal geht's auch um den Wirtschaftskommentar, nach den Promillen.

Auf der letzten Seite der Hamburger Rundschau gibt's die Glosse „Mein wunderbarer Alltag“. Diesmal darf Henryk M. Broder, auch ÖTV-streikgeschädigt, ran:

Die Leute haben das ganze als sportive Übung genommen. Sie fuhren mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Friedrichstraße, dann per Anhalter oder Taxi bis zum Tiergarten, und dann wurden sie von Bekannten, mit denen sie sich telefonisch verabredet hatten, das letzte Stück mitgenommen... Ganz Berlin war ein Abenteuerspielplatz, jeder Fußgänger kam sich ein bißchen wie Tarzan im Dschungel vor. Womit sich wieder einmal bestätigt hat: Die Menschen leiden nicht unter Streß, sondern unter Routine.“ Das wär' doch ein passabler Schluß gewesen, doch die standardisierte Kolumnen-Länge fordert ihren Tribut und ein paar letzte Zeilen: „So gesehen haben auch Katastrophen ihre guten Seiten: Ein kleiner Krieg, ein mittleres Erdbeben, ein Streik bei den öffentlichen Verkehrsmitteln — und aus Bürgern werden wieder Mitmenschen.“ So gesehen muß man Saddam Hussein richtig dankbar sein, daß er die außerarabische Menschheit wieder eine Zivilsationsstufe nach oben katapultierte— alle Menschen echte Waffen-Brüder.

Die letztwöchige Titelgeschichte des Spiegel über „Die Luxus-Politiker — Selbstbedienung im Staate Lafontaine“ hatte in Saarbrücken ein parlamentarisches Nachspiel, als sich Kämpfer Oskar über das grassierende „Pharisäertum“ beschwerte, das nach dem Gutachten des Diäten- Kritikers Hans Herbert von Arnim öffentlich sichtbar geworden wäre: „Den Speyer Professor Arnim strafte Lafontaine wegen Majestätsbeleidigung. Um den Zorn des kleinen Mannes an der Saar von den Luxus-Politikern um Lafontaine abzulenken, nannte der Ministerpräsident das Gehalt des Staatsdieners (9.000 Mark), prangerte dessen angeblich traumhaft geringe Arbeitszeit und Nebenverdienst-Möglichkeiten in Millionenhöhe an.

So sieht eine 'Spiegel‘-Nachricht im Emser-Depeschen-Stil aus. Denn der entscheidende Hinweis, den der saarländische Ministerpräsident gab, wurde einfach weggelassen. Daß sich nämlich heutzutage Chefredakteure von Nachrichtenmagazinen über die Diätenhöhen (monatlich 7.000 Deutschmark) auslassen, die selbst monatlich 100.000 Mark verdienen.

Steinbach unwirsch: ein Nachrichten-Magazyn.