„Lääben geht trotzdem weiter“

Voll des Pechs verliert Eintracht Frankfurt bei Hansa Rostock 1:2 und damit überraschend die Deutsche Meisterschaft/ Der ehemalige Tabellenführer Rostock muß trotz des Sieges absteigen  ■ Aus Rostock Arne Fohlin

Um 15.30 Uhr war die Welt noch in Ordnung: „Ich glaub', wir ha'm 'n Auswärtsspiel hier“, giggelte ein schwarz-roter Fußballfreund in einem Bus der Rostocker Nahverkehrsbetriebe, der eine gemischte Ladung Fans aus der Innenstadt zur Stadiongegend transportierte.

Über andere Parolen wie „Zonenpower, Zonenpower“ oder „Mecklenburg lebt“ lächelte er, wie wohl die meisten der 8.000 mitgereisten Hessen, milde hinweg: Eintracht Frankfurt, die Diva der Liga, der man im Laufe der Saison gelegentlich gar „Fußball wie von einem anderen Stern“ attestiert hatte, war eigentlich nur noch deswegen an die Ostsee gereist, um dort die Meisterschale, pardon: eine Art Trophäenleihgabe aus dem reichhaltigen Fundus des FC Bayern München in Empfang zu nehmen. Selbst aus dem Umfeld des Gegners war nur Gutes über die Herren Möller, Bein & Co. zu hören: „Am wahrscheinlichsten ist sicher“, hieß es im Stadionmagazin, daß Frankfurt Meister und Hansa Rostock absteigen wird.

Am Ende hatten beide Mannschaften ihr Ziel verfehlt. Die eine ward wieder einmal nicht Meister, die andere spielt künftig dort, wo sie vor der Ära des vor Wochen geschaßten Hansa-Coaches Uwe Reinders immer kickte: im Mittelmaß, in bester Gesellschaft mit dem FC St. Pauli, dem SV Meppen und dem FC Homburg in der Zweiten Bundesliga.

Gleich zwei Schrecken hatten die Frankfurter zu Beginn der Partie zu kompensieren: Die Rostocker taten nicht wie erhofft und ließen sich willig in die Niederlage schuckeln, und die Dortmunder gingen, wie es auf der Anzeigentafel prangte, schon nach wenigen Minuten des Simultanfinales in Führung: Jubel bei der 17.000köpfigen Fanbesatzung der Hansa-Kogge, Schweigen im Block der Hessen. Es sollte sich herausstellen, daß die Jungs um Andreas Möller dies nicht mehr verkraften sollten. Schlimmer noch: In der 63.Minute, als die Frankfurter einmal mehr mit zauberhaften Kombinationen einem meisterlichen Tor entgegen kickten, nutzten die Rostocker einen Konter und die Konfusion der Mannen vor Torwart Uli Stein zum 1:0 durch Jens Dowe. Es war die Strafe dafür, daß die Hessen vom Fußballjupiter gegen einen ebenbürtigen Gegner gewinnen wollten, sie es offenbar nicht darauf anlegten, eine technisch minderbegabte Truppe zu demütigen. Der Ausgleich wurde zwar umgehend durch den früheren Rostocker Axel Kruse — der den Vorzug vor Jörn Andersen erhielt — per Kopf nach Flanke von Ralf Weber erzielt, woraufhin das Kalkül des Eintracht-Trainers Dragoslav Stepanovic in Erfüllung gehen sollte: „Ich dachte nach dem Tor, die wachen jetzt auf, schießen die ein Tor, dachte ich, kommt noch eins.“

Er irrte: Das Schicksal war gegen die Frankfurter. Weder pfiff der Schiedsrichter einen strafstoßwürdigen Tritt Stefan Bögers wider Ralf Weber, noch kullerte der Ball Edgar Schmitts in Tor, statt dessen an den Pfosten, noch wurde der Treffer in der 75.Minute anerkannt: Uwe Bein soll den Ball zuvor mit seinem Arm touchiert haben.

Die letzte Hoffnung der Hessen mochte Stefan Böger gewesen sein, man hätte ihm dafür auch sonst all sein Engagement für die Belange seiner Mannschaft verziehen: ein Eigentor. Allein: Am Sonnabend wußte der frühere Jenenser, wohin sein Wirken sich zu richten hat. In der 91.Minute lief er allein auf Frankfurts Tor zu, hopste über den panisch herausgelaufenen Uli Stein hinweg, ließ das Leder bis zur Torlinie nicht mehr unbeaufsichtigt und schaffte das „nicht Erwartete“ (Hansa-Präsident Jürgen Kische), den Siegtreffer zum 2:1 — genau jenes Tor, das die Frankfurter in allerletzter Sekunde selbst gern geschossen hätten. Dragoslav („Steppi“) Stepanovic war keineswegs geknickt, lächelte gar: „Unten weinen die Jungs. Wir haben gekämpft. Waren aber heute zu nervös. Die Jungs wollten wie ein Boxer den Gegner mit einem Schlag erledigen.“ Hätte ein Elfmeter die Katharsis gebracht? „Ach, weiß nicht“, sagte er gedehnt und sog an seinem Zigarillo, „wenn Elfmeter, dann verschossen, was wäre dann gewesen...“ Ja, klare Sache, enttäuscht sei er, aber „im Lääben geht's auch so, Lääben geht weiter.“ Und der brave Erich Rutemöller („Ich möchte so gerne weiter als Trainer arbeiten.“) nickte und weinte ein wenig mit: „Wir brauchen schlagkräftige Mannschaft, dann Furore“, stotterte er ergriffen, „aber wir sind noch alle zu sehr gezeichnet von dem, was hier passiert ist.“ Draußen preßten sich hunderte von Rostockern und Frankfurter Fans an das Absperrgitter. Es war eine sehr stille, sehr einsame Trauerfeier.

Tore: 1:0 Dowe (64.), 1:1 Kruse (66.), 2:1 Böger (90.).

Zuschauer: 25.000 (ausverkauft).

FC Hansa Rostock: Hoffmann - Straka - Wahl, Alms - Weilandt (57.März), Böger, Spies, Schulz, Schlünz, Dowe - Weichert (73.Lässig); Eintracht Frankfurt: Stein - Binz - Roth, Bindewald - Frank Möller (52.Sippel), Andreas Möller, Bein, Falkenmayer, Weber - Yeboah, Kruse (77.Schmitt).