Aserbaidschans Opposition feiert Sieg

Die Lage in Baku hat sich nach dem mißglückten Staatsstreich wieder entspannt/ Der Nationalrat übernimmt bis zu den Präsidentschaftswahlen am 7.Juni die Staatsgeschäfte/ Mutalibow tauchte ab  ■ Von Ömer Ezeren

Istanbul (taz) — Der Staatsstreich des aserbaidschanischen Ex-Präsidenten Ayaz Mutalibow ist am Wochenende gescheitert. Etwa 50.000 Menschen, unter ihnen viele Frauen und Kinder, feierten gestern vor dem Parlamentsgebäude den Abgang des ehemaligen KP-Politikers. Bis zu den Präsidentschaftswahlen am 7.Juni werden die Staatsgeschäfte nun von einer Volksfrontregierung geführt. Mutalibow ist inzwischen abgetaucht.

Das aserbaidschanische Fernsehen überträgt die Jubeldemonstrationen in Baku live. Der Volksfrontführer Ebulfelz Elcibey sprach von einer „Niederlage der Putschisten“ und rief die Bevölkerung auf, weiter „wachsam“ zu sein. Man dürfe jedoch nicht die Anhänger Mutalibows, die sich aus dem alten sowjetischen Parteiapparat rekrutieren, zur Zielscheibe erklären und „Blutrache“ üben. „Wir wollen ein demokratisches Aserbaidschan, wo die Hoheit des Rechts garantiert ist“, sagte Elcibey. Volksfrontsprecher Cengiz Ganiyev verlas im aserbaidschanischen Radio eine Erklärung, in der die Aserbaidschaner aufgefordert werden, weiter zu demonstrieren. „Die Niederlage der Räuberbanden ist nicht endgültig“, sagte Ganiyev.

Unterdessen hat der aserbaidschanische Nationalrat, der alle gesetzgebenden Vollmachten übernommen hat, alle Verfügungen des Parlaments und Mutalibows nach seiner kurzen Rückkehr zur Macht bis Donnerstag für nichtig erklärt. Im Gegensatz zu dem aserbaidschanischen Parlament, einem Relikt aus vordemokratischen Zeiten, ist die politische Besetzung des Nationalrates ausgewogener. Sowohl alte Regimeanhänger als auch die Volksfront ist im Nationalrat vertreten. Der Nationalrat hob das von Mutalibow verfügte Kriegsrecht und die Pressezensur auf. Er stellte klar, daß die Präsidentschaftswahlen, die für den 7.Juni vorgesehen und von Mutalibow abgesetzt worden waren, stattfinden werden. Bei diesen ersten freien Wahlen wird der Volksfrontführer Ebulfez Elcibey voraussichtlich einen überwältigenden Wahlerfolg erringen.

Unklarheit herrscht weiterhin über den Aufenthaltsort Mutalibows. Nachrichten, daß er ins usbekische Taschkent geflohen sei, konnten nicht bestätigt werden. In Baku gehen Gerüchte um, daß Mutalibow sich weiterhin in Aserbaidschan aufhalte und sich noch nicht geschlagen gebe. Der Umstand, daß die Masse der Bevölkerung den Aufruf der Volksfront zu zivilem Ungehorsam weitgehend befolgte und spontan Zehntausende gegen Mutalibow auf die Straße gingen, hat entscheidend dazu beigetragen, daß es zu keinem Bürgerkrieg kam. Im großen und ganzen verlief der zweite Sturz Mutalibows— er mußte bereits Anfang März aufgrund von Massendemonstrationen zurücktreten — unblutig. Attacken der Mutalibow-Anhänger auf die Zentrale der Volksfront konnten von den Zehntausenden Menschen, die sich zum Schutz des Volksfrontgebäudes versammelt hatten, mit Leichtigkeit abgewehrt werden. So war es für die bewaffneten Milizionäre der Volksfront und die Demonstranten kein Problem, das Parlamentsgebäude einzunehmen. Nur vereinzelt kam es zu Schußwechseln. Das Parlamentsgebäude und das Hotel Moskau wurden geringfügig zerstört. Die — recht unrealistische — Befürchtung der Volksfront ist, daß russische Militärverbände auf seiten Mutalibows intervenieren könnten. An die Adresse des UN-Generalsekretärs Butros Ghali erging ein Schreiben der Volksfront, wo die Nichteinmischung von GUS-Militär in die inneren Angelegenheit Aserbaidschans gefordert wird. Mittlerweile wurde bekannt, daß bereits Tage zuvor die Volksfront Diplomaten der USA und der Türkei kontaktierte, um die Neutralität Moskaus zu gewährleisten. Dazu das Volksfrontmitglied Tosük Gasimov: „Wir waren in der türkischen Botschaft und haben sie informiert. Der türkische Außenminister Hikmet Cetin ist bei dem GUS-Botschafter in Ankara, Tschernitschew, vorstellig geworden. Die Russen haben sowohl den USA als auch der Türkei zugesagt, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Aserbaidschans zu mischen.“

Der politische Umschwung in Baku wird die Spannungen Aserbaidschans zu Moskau und Teheran verschärfen. Ebulfez Elcibey, der starke Mann in Baku, ist ein radikaler Gegner jeglicher islamisch-fundamentalistischer Politik und strebt langfristig die Vereinigung Aserbaidschans mit den im Iran lebenden Aserbaidschanern an. Auch sein Verhältnis zu Moskau — Ebulfez verbrachte mehrere Jahre im Arbeitslager — ist gebrochen. Obwohl er mittlerweile die zentrale politische Figur in Aserbaidschan ist, gibt er noch ganz undiplomatische Stellungnahmen ab. „Die GUS ist ein Zusammenschluß halb versklavter Völker unter der Kontrolle Moskaus.“