RAF-Frauen wollen keine Versöhnung

Die in Lübeck einsitzenden RAF-Gefangenen sehen aber keinen Sinn mehr in gewaltsamen Aktionen/ Boock bekennt Beteiligung an Ponto- und Schleyer-Entführungen/ Gnadengesuch zurückgezogen  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Für Innenminister Rudolf Seiters (CDU) hat sich an der Gefährlichkeit der Roten Armee Fraktion (RAF) auch nach deren Erklärung für einen Gewaltverzicht nicht viel geändert. Im Zusammenhang mit einer am Samstag abend vom Norddeutschen Rundfunk ausgestrahlten Diskussionsrunde mit den vier in Lübeck inhaftierten RAF- Gefangenen Christine Kuby, Hanna Krabbe, Irmgard Möller und Gabriele Rollnik wertete Seiters den politisch-strategischen Gewaltverzicht „als Beweis dafür, daß sich im Gefahrenbereich des Terrorismus nichts geändert hat“.

Führenden Sicherheitsexperten gilt dagegen gerade diese „politisch- strategische“ Begründung als Beleg dafür, daß es in der nächsten Zeit keine weiteren Anschläge und Attentate geben wird. Die Untergrundmitglieder der RAF hätten, wie auch die Gefangenen, aus ihrer Sicht immer als politisch handelnde Personen agiert und in der Vergangenheit die von ihnen gemachten Vorgaben auch stets eingehalten.

Der Begriff der Versöhung, den Bundesjustizminister Klaus Kinkel bei seiner Initiative zur vorzeitigen Haftentlassung von RAF-Gefangenen prägte, wurde von den inhaftierten Frauen in der Fernsehdiskussion abgelehnt. Hanna Krabbe, die 1975 an dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm beteiligt war, erklärte: „Versöhnung kann man wirklich nicht wörtlich nehmen, das ergibt keinen Sinn für mich.“ In einem Interview im 'Spiegel‘ sagte auch Irmgard Möller: „Kinkel kann uns nicht mit den Inhalten und Formen des Systems, das wir bekämpft haben, versöhnen.“

Zugleich bekräftigte sie aber, im Fall einer Freilassung „nicht in die Illegalität [zu] gehen, sondern mich auf anderer Ebene politisch bewegen und Widerstand leisten“ zu wollen. Der RAF gehe es darum, ihre Politik auf ganz andere Füße zu stellen. „Wir wollen eine ganz neue politische Basis schaffen und nicht gleichzeitig die Menschen mit Eskalationen konfrontieren.“ Auf der einen Seite räumt Irmgard Möller zwar ein: „Ich kann mir Gewalt im Moment nicht vorstellen, weder aus der politischen Lage heraus noch von meiner Konstitution her.“ Auf der anderen Seite hält sie rückblickend aber an der Legitimität des gerade eingestellten bewaffneten Kampfes fest. „Wenn die RAF diese Angriffe heute nicht mehr führt, dann nicht, weil sie nicht legitim wären. Sondern weil sie den politischen Prozeß, den wir im Auge habe, nicht weiterbringen.“ Gefragt, ob ihre Haltung nicht gerade den Politikern Vorschub leiste, die Kinkels Aussöhnungskurs ohnehin ablehnten, erklärte die seit 25 Jahren inhaftierte Möller: „Die Gefahr besteht, solange wir nicht bereit sind zu taktieren. Und das werden wir niemals tun.“

Boocks Lebensbeichte

Während Irmgard Möller, einzige Überlebende der Todesnacht vom 18. Oktober 1977 in Stammheim, daran festhält, daß es sich bei dem Tod von Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin um Mord gehandelt habe, meldet der 'Spiegel‘ unter Berufung auf das frühere RAF- Mitglied Peter-Jürgen Boock, es seien „Selbstmorde“ gewesen — „wobei man Anweisung gab, wie der als Mord hingestellt werden könne“. Boock, über lange Jahre Kronzeuge der Kritiker des staatlichen Umgangs mit ausgestiegenen RAF-Leuten, widerrief jetzt sensationell seine früheren Aussagen, wonach er nur Mitläufer der RAF gewesen sei und niemals daran beteiligt gewesen sei, „als Menschen getötet wurden oder als auf sie geschossen wurde“. Wie das Magazin berichtet, hat Boock vom 1. April bis zum vergangenen Donnerstag vor der Bundesanwaltschaft eine umfassende „Lebensbeichte“ abgelegt. Danach räumte er ein, ebenso „an den Beschlüssen der RAF mitentscheidend im Zentrum beteiligt“ gewesen zu sein, wie er auch maßgeblich an der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer 1977 und der versuchten Entführung des Bankiers Ponto beteiligt war. Bei der Entführung Schleyers sei man sich nach ausführlichen Diskussionen bewußt gewesen, daß diese nur gelingen könne, wenn zuvor alle Begleiter Schleyers erschossen würden. Boock bekennt heute, daß er wie seine drei Mittäter geschossen und getroffen hätte. Boock soll auch die Waffen beschafft und für den Transport präpariert haben, die beim Tod der Gefangenen in Stammheim verwendet wurden.

In einem Schreiben vom 29. März an den Bundespräsidenten, das der'Spiegel‘ zitiert (siehe Seite 12), stellte Boock Richard von Weizsäcker anheim, „mein bei ihnen anhängiges Gnadengesuch niederzuschlagen, da es — was meine Person, meine Beteiligung an Aktionen der RAF und meine objektive Position in dieser Gruppe — auf unzutreffenden Voraussetzungen beruht“. Seine späte Offenbarung erklärte Boock damit, daß er es in der Vergangenheit nicht geschafft habe, „zu den Taten zu stehen, an denen ich beteiligt war“. Boock appelierte an den Bundespräsidenten, sich im Falle anderer Gnadengesuche „nicht von den negativen Erfahrungen mit meiner Person beeinflussen [zu] lassen“.