Verdunklungsfernsehen

■ Die ARD übertrug in der Nacht auf Sonntag live den Umzug des Münchner Flughafens Riem nach Erding

Es gibt eine Form des Schwachsinns, die wird durch Fernsehen erst richtig schön. Diese luzide Einsicht muß auch irgendwo in den Hinterköpfen einiger ARD- Macher gewaltet haben. Uns zum Lohn. Denn was dabei herauskam war eine der packendsten Live- Reportagen der Fernsehgeschichte seit der Mondlandung.

Wieder mal ging es vordergründig ums Fliegen. Nämlich um den Umzug des Münchner Flughafens. Doch was hier wirklich live gezeigt wurde, war etwas ganz anderes und trotzdem sensationell: Rund 50 TV-Pioniere des Bayrischen Rundfunks bewiesen, daß Fernsehen auch im Finstern möglich ist. Ja, wir haben es schon immer geahnt: der eigentliche Sinn einer jeden öffentlich-rechtlichen Television muß in der überparteiischen und allumfassenden Darstellung der Schwärze gesucht werden. Wahrlich, die unterbelichteten Bilder, die uns die wackere Bayern-Truppe da aus dem nächtlichen Erdinger Moos schickte, ließen an Überzeugungskraft nichts zu wünschen übrig. Endlich einmal wurde Fernsehen zu dem, was es immer schon hätte sein sollen: Reine Röntgenstrahlung ohne die störende Beigabe von sichtbaren Lichtwellen.

Schade nur, daß die meditative Note dieses Verdunklungsfernsehens immer wieder durch gelegentlich auf der Mattscheibe aufflackernde Lichter gestört wurde. Selbst wenn es sich dabei tatsächlich — wie irgend jemand in der Sendung behauptete — um „Kolonnen“, „Konvois“ oder gar „Armadas“ von Fahrzeugen gehandelt haben sollte, war es doch sehr lästig, ständig geblendet zu werden. Leider drängten sich regelmäßig verschiedene Personen auf den Schirm, nur um dann aufgeregt von irgendwelchen Airports und einem Franz Josef Strauß zu sprechen.

Doch, Gott sei Dank, besinnen sich die Macher wieder des rechten Weges. Finsternis senkt sich über die Mattscheibe. Maschinen werden „transferiert“ und „das System kommt zum Einsatz“ am „Tag X“ in „der Nacht der Nächte“. Gut gesprochen. DIE NACHT DER NÄCHTE. Das ist es! Fernsehen als schwarzer Kanal: die televisionäre Verfinsterung als Labsal für unsere geschundenen Augen. Plötzlich — Achtung Klimax! — „küßt ein Airbus die nagelneue Startbahn“. Mein Gott, ist das schön. Irgendwer küßt irgendwen. Und alles unsichtbar in finsterster Nacht. Martin Muser