piwik no script img

„Bruder“ oder „Onkel“ für Kurdistan?

Die Konkurrenten Talabani und Barsani stellen sich heute im irakischen Teil Kurdistans zur Wahl  ■ Aus Salah Eddin Khalil Abied

Fast eineinhalb Millionen Kurden werden am heutigen Tag in 176 Wahllokalen in den ersten freien Wahlen der kurdischen Geschichte ihre Stimme abgeben. Die Partei, die einen Sitz im Parlament bekommen will, muß mindestens auf sieben Prozent der Stimmen kommen. Den Minderheiten in Irakisch-Kurdistan, den Christen und Assyern, sind nach dem neuen Wahlgesetz mindestens fünf Sitze im neuen Parlament reserviert. Als Vorbild dient das bundesdeutsche Verhältniswahlrecht.

Es gilt als sicher, daß zwei Männer das Rennen unter sich ausmachen werden: „Kaka“, der Bruder, wie Masud Barsani von seinen Anhängern genannt wird, und Jalal Talabani, genannt „Mam“, der Onkel.

Die Beschreibung des „ersten Amtes“ bleibt vorläufig unklar. Streitpunkt bleibt die Frage, ob er nur an der Spitze einer legislativen Macht stehen wird oder ob er auch exekutive Funktionen übernimmt. Letzteres würde eine direkte Herausforderung für die irakische Zentralmacht in Bagdad bedeuten.

Lahmlegende Konkurrenz

Die Konkurrenz zwischen dem „Bruder“ und dem „Onkel“ hat die kurdische Front in den letzten Monaten lahmgelegt. Wichtige Entscheidungen über zukünftige Beziehungen zu den Nachbarn und vor allem zum Irak, auf dessen offiziellem Staatsgebiet dieses kurdische Gebiet liegt, wurden hinausgeschoben. Die Differenzen zwischen beiden Parteien führten bei einem Streit um Bewässerung in der vorletzten Woche sogar zu blutigen Auseinandersetzungen. Vierzehn Menschen kamen dabei ums Leben. Als die Wahlkampagne drohte blutig weitergeführt zu werden, trafen sich die beiden Kurden-Chefs. Seitdem ist es ruhiger geworden.

Doch auch von anderer Seite wurde der friedliche Wahlprozeß bedroht. Vor wenigen Tagen explodierte eine Bombe vor einem Hotel, in dem sich ausländische Beobachter aufhielten. Ein führendes Mitglied von Talabanis Partei fürchtet, daß Bagdad Agenten ausschicken wird, um die Wahl zu sabotieren. Für Fallak Eddin Kafai, ein Mitglied des Zentralkomitees von Barsanis Partei, ist Bagdad nur eine der Mächte, die die Wahlen verhindern wollen. Wegen der irakischen Blockade seien sie eigentlich auf die logistische Hilfe aus anderen Länder angewiesen. Einige hätten es kurdischen Flüchtlingen nicht erlaubt, zu den Wahlen zu kommen. Namen wollte er keine nennen. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß nur die Türkei, der Iran und Syrien gemeint sein können.

Viele Kurden sind enttäuscht über die mangelnde internationale Unterstützung ihrer Wahlen. Alle waren eingeladen. „Aus den arabischen Ländern kam keine einzige Delegation, und aus den westlichen Ländern kamen nur „Persönlichkeiten als Wahlbeobachter, aber keine offiziellen Länderdelegationen“, beklagt sich ein Mitglied des Informationskomitees der Kurdischen Front. Zwei PDS-Bundestagsabgeordnete sind dennoch angereist. Die PDS hatte im Bundestag gefordert, eine offizielle Delegation nach Kurdistan zu schicken. Nach Angaben eines der beiden PDS-Wahlbeobachter hatte die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth eine solche Delegation mit dem Argument abgelehnt, daß dies eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iraks sei.

Bunte Wahlkampagne

Abgesehen von den Schwierigkeiten ist es eine bunte Wahlkampagne. Jede Partei hat ihre eigene Farbe. Überall in Kurdistan, in den Städten und Dörfern, auf allen Häusern und auf den Zelten der Flüchtlinge hängen bunte Wimpel. An den Radioantennen der Autos wehen farbige Stoffetzen. Zwischen dem Obst und Gemüse auf den Märkten stecken bunte Fähnchen. Gelb ist die „Kaka“-, Grün die „Mam“-Farbe. In den christlichen Vierteln sind überall weiße Fahnen mit einem Kreuz zu sehen, das Symbol der christlichen Minderheitenliste. Die Assyrer haben Lila als ihre Farbe gewählt.

Diese Minderheiten genießen ihre neuen Freiheiten in der Wahlkampagne. In ihren Wahlprogrammen finden sich Punkte wie „den Sonntag als Feiertag anzuerkennen“, „in ihren eigenen Sprachen Schulunterricht zuzulassen“ oder „das Recht, in ihren Vierteln neue Häuser zu bauen“.

Für die blaue Liste, die sozialistische Partei, rechnen sich manche eine reale Chance aus, die Sieben- Prozent-Hürde zu überspringen. Von der roten Liste, den Kommunisten, glaubt das eigentlich niemand.

Die Chance der grünen und weißen Listen, der islamistischen Bewegung, wird unterschiedlich bewertet. Manche lachen über sie und weisen darauf hin, daß alle Kurden Muslime sind und daß Gott keine Partei braucht. Anhänger von Barsani sehen das anders. Es gibt zwei islamistische Parteien. Die eine sei schlecht, weil sie von den Iranern unterstützt wird. Die zweite dagegen sei gut, da ein Cousin Barsanis an deren Spitze stehe.

Hamad Mahmud, ein 45jähriger Ladenbesitzer in Zakho, wird Barsani wählen. „Er ist der Mann des Friedens — Talabani dagegen der Mann des Krieges“, erklärt er seine Auswahl. „Barsani will mit Bagdad verhandeln und eine kurdische Autonomie mit friedlichen Mitteln erreichen“, führt er fort.

Souran Karim, ein 27jähriger Händler in Arbil, will Talabani seine Stimme geben. Barsanis Frieden bedeutet für ihn nur die Rückkehr von Saddam Husseins Soldaten und Geheimdienstleuten. „Wir müssen unsere eigenen militärischen Kräfte verbessern, und der Westen wird uns unterstützen und schützen“, meint er.

Das Wahlergebnis werden beide erst einmal akzeptieren. Mahmud wird im Falle von Talabanis Sieg die Flucht mit seiner Familie in die Berge vorbereiten. Talabani bedeutet für ihn ein neuer Ausbruch des Krieges mit Bagdad. Für Karim bedeutet ein Wahlsieg Barsanis, daß er wieder zum Gewehr greifen muß. Er wird niemals akzeptieren, sagt er, daß die Leute von Saddam Hussein wieder in Kurdistan einziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen