INTERVIEW
: Bangkok, Schauplatz von Straßenschlachten

■ Gespräch mit einem Augenzeugen der Demonstration vom Sonntag/ Gezielte Angriffe des Militärs auf Journalisten

Wie hat die Demonstration vom Sonntag begonnen?

Etwa um 17 Uhr nachmittags versammelten sich die Leute am Platz der Demokratie, da wo auch letzte Woche die Demonstrationen stattgefunden haben. Es waren vor allem Familien, Eltern mit Kindern, aber auch viele ältere Leute. Es war wirklich ein „soziologischer Querschnitt“, keineswegs nur eine Studentenversammlung. Das zeigte sich übrigens auch an den Rednern - außer den Oppositionsführern traten auch Schlagersänger, Geschäftsleute und Sozialarbeiter auf die Tribüne.

Wie kam es zu der Eskalation?

Das Militär war auf jeden Fall auf Ausschreitungen vorbereitet. Etwa gegen 21 Uhr hatten die Oppositionsführer vorgeschlagen, einen Protestmarsch auf das Parlamentsgebäude zu machen. Als sich die Demonstranten in Bewegung setzten, waren ein paar Leute schon vorgelaufen und versuchten, die Stacheldrahtabsperrung zu durchbrechen, die in Bangkok übrigens „Berliner Mauer“ genannt wird. In diesem Moment haben die Militärs zum ersten Mal Wasserwerfer eingesetzt, und zwar gezielt und provokant gegen einzelne Leute. An der Stacheldrahtbarrikade ist es auch zu den ersten Schlägereien gekommen, als einzelne Demonstranten sich zu wehren begannen und Flaschen und andere Gegenstände auf die Polizisten warfen. Weil die Demonstrationsleitung noch nicht eingetroffen war, aber immer mehr Menschen vom Platz der Demokratie kamen, drohte die Situation in Panik umzuschlagen.

Ich war unterwegs mit einer Gruppe von Journalisten und habe gesehen, wie vor allem auf Fotografen eingeschlagen wurde. Neben mir wurde jemand von Assiociated Press von einem Stein getroffen, der ihm von einem Polizisten direkt an den Kopf geworfen worden war. Es ist erst im letzten Moment gelungen, die Leute dazu zu bewegen, sich hinzusetzen. Die Menschen haben angefangen zu singen, Reden zu halten, die Lage schien sich zu beruhigen.

Waren an der „Berliner Mauer“ nur Polizisten eingesetzt?

Dort habe ich das Militär nur in der zweiten Reihe gesehen. Das war allerdings an der Paan Fah Brücke völlig anders. Schon vom Parlamentsgebäude aus hatte ich in der Gegend Feuer und Rauchschwaden gesehen. Als ich dorthin gehen wollte, hatten Militärs die Straße bereits versperrt. Über eine Seitenstraße bin ich dann doch in das Viertel gelangt — und da waren richtige Straßenschlachten im Gange. Es flogen Molotowcocktails, Polizei und Militärs schlugen brutal auf Zivilisten ein. Auch unbeteiligte Anwohner gerieten mitten ins Gefecht und versuchten zu fliehen. Als dann die erste Leiche in den Krankenwagen gehoben wurde, brach Panik aus. Danach kam kein Krankenwagen mehr durch, viele Verletzte wurden auf dem Rücksitz von Motorrädern ins Krankenhaus gefahren. Und ständig traf ich Leute, die schrien: Mein Freund ist tot! Mein Vater ist verletzt!

Hat sich die Situation im Laufe der Nacht beruhigt?

Die Gefechte haben aufgehört, aber die Stimmung in der Stadt ist explosiv. Vor allem weiß niemand genau, was los ist, weil viele Zeitungen weiße Seiten gedruckt haben. Nur die englischsprachige 'Nation‘ hat sich über das Zensurverbot hinweggesetzt. Über Radio und Fernsehen werden nur Falschmeldungen verbreitet. Es kann gut sein, daß die Leute in den Provinzen von den Demonstrationen noch gar nichts mitbekommen haben.

Halten sich jetzt noch Demonstranten auf dem Platz der Demokratie auf?

Ja, etwa 5.000. Sie sitzen ohne jeden Schutz, ohne Waffen schwerbewaffneten Militärs gegenüber. Wie die ganz überwiegende Mehrzahl der Demonstranten wollen sie ihre Forderungen mit strikter Gewaltlosigkeit erkämpfen. Interview: Dorothee Wenner