„Er hätte mir alles sagen können“

Das Geständnis von Peter-Jürgen Boock, bei RAF-Morden dabei gewesen zu sein, löst Bestürzung aus/ Heinrich Albertz: „Ich bin enttäuscht“/ Die RAF nannte Boock schon 1988 einen Lügner  ■ Von Claus Christian Malzahn

Berlin (taz) — Das Geständnis von Peter-Jürgen Boock, entgegen früherer Aussagen doch an tödlichen Aktionen der RAF beteiligt gewesen zu sein, hat bei einem Teil seiner Freunde und Unterstützer Enttäuschung und Ratlosigkeit hervorgerufen. Der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins Heinrich Albertz, der sich mit anderen Prominenten bei Bundespräsident von Weizsäcker für eine Begnadigung Boocks eingesetzt hatte, sagte gestern der taz, er „verstehe das alles nicht und bin enttäuscht“. Albertz weiter: „Gerade mir hätte er doch alles sagen können. Wir hätten ja darüber sprechen können, was ich dann weitererzähle und was nicht. Aber da hätte ich gewußt, woran ich bin.“

Der 75jährige Sozialdemokrat, der seit mehreren Jahren in einem Bremer Altersheim lebt, hat von der Lebensbeichte Boocks erst durch die Zeitungen erfahren. Der von Boock angekündigte persönliche Brief an ihn sei noch nicht eingetroffen. „Das ist eine schreckliche Sache. Ich weiß noch nicht, ob und wie ich darauf reagieren werde.“ sagte er. Er begreife nicht, „wieso uns der da hat reinlaufen lassen“.

Als der Student Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in Berlin von einem Polizisten erschossen wurde, war Albertz Regierender Bürgermeister. Er trat zurück und profilierte sich in den folgenden Jahren als einer der wichtigsten Befürworter eines Dialogs zwischen Staat und Terroristen. Schlagzeilen machte Albertz, als er sich 1975 als Geisel der anarchistischen „Bewegung 2. Juni“ zur Verfügung stellte, die im Austausch für den Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz mehrere Gefangene aus dem Gefängnis freigepreßt hatten.

Die Reaktion von Carlchristian von Braunmühl — der Bruder des von der RAF ermordeten Gerold von Braunmühl — war eher zurückhaltend. Die Geschwister des RAF- Opfers von Braunmühl hatten 1987 20.000 Mark für den Rechtshilfefonds von Peter-Jürgen Boock gespendet. „Ich habe seinen Brief bekommen!“ sagte Carlchristian von Braunmühl der taz. In ihm sei die Bitte enthalten, ihn an die Geschwister weiterzuleiten. „Wenn ich das getan habe, werde ich Boock antworten.“ Mehr wolle er im Moment dazu nicht sagen.

Der heute 40jährige Boock war 1984 und 1986 wegen Tatbeteiligunng bei den Anschlägen auf den Bankier Jürgen Ponto und den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Boock versicherte damals: „Ich war nicht dabei, ich habe nicht geschossen.“ Dieser Satz war — neben seiner Abkehr von den Aktionen und Ideen der RAF — die Grundlage einer breiten Solidaritätsbewegung. Ralph Giordano schrieb im Juni 1988 in einem Essay über den Gefangenen in der taz: „Von der bundesdeutschen Justiz fordere ich Freiheit für Peter-Jürgen Boock. Ich glaube ihm!“ Bei einer Vernehmung hat Boock inzwischen ausgesagt, bei der Schleyer-Entführung im Herbst 1977 selbst geschossen zu haben. Das Bundespräsidialamt teilte gestern mit, daß zur Zeit kein Verfahren zur Begnadigung von Boock in Bearbeitung sei. Der im Hamburger Gefängnis Fuhlsbüttel einsitzende Boock hatte in seinem Schreiben an von Weizsäcker anheimgestellt, „mein bei Ihnen anhängiges Gnadengesuch niederzuschlagen“. Er hatte zum ersten Mal 1989 ein Gnadengesuch beim Bundespräsidenten eingereicht. Neben Albertz, Giordano und den Geschwistern von Braunmühl hatten sich auch der Schriftsteller Peter Schneider, die 'Zeit‘-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff für ihn eingesetzt. Von Weizsäcker hatte damals erklärt, er sei nicht in der Lage, dem Gesuch zu entsprechen, werde jedoch „zu gegebener Zeit erneut und von Amts wegen über das Gesuch befinden.“ Weizsäcker hatte Boock auch im Gefängnis besucht.

Die gnadenlose Stimmung in der Bevölkerung schien damals umzukippen: Das Emnid-Institut ermittelte im Spätsommer 1988, daß die Hälfte der BundesbürgerInnen für eine Begnadigung von reumütigen Ex-Terroristen sei. Ein paar Monate zuvor hatten sich noch über zwei Drittel der Bevölkerung dagegen ausgesprochen. Die Meinungsforscher erklärten die überraschende Trendwende mit einem „Weizsäcker-Effekt“.

Erste Zweifel am Wahrheitsgehalt der Stellungnahmen von Boock tauchten im Oktober 1988 auf. Damals veröffentlichte die linke Monatszeitung 'Konkret‘ eine Erklärung der RAF. Darin hieß es unter anderem: „seine geschichte ist ein hochgebauter dom auf verlogenen stelzen. Sie ist fast ausschließlich sein trip. Ware, mit der er seine begnadigung erdealt, auch rache, projektion und verachtung gegenüber allen, die ihm auf seinem eigenen terrain: schläue — begegnen.“ Seine ehemaligen Weggefährten bescheinigten ihm noch, „ein moralisch leerer mensch“ zu sein. Etwa zwei Jahre später, nach den Verhaftungen ehemaliger RAF-Mitglieder in der DDR, wurde Boock von ihnen stärker belastet. Christian Klar, in Stammheim sitzender RAF-Gefangener, schrieb einen Leserbrief an die taz: „Jetzt, durch die Aussagen von in der DDR Gegriffenen, kommt ihnen langsam, Boock war vielleicht auch einer der echten Schlimmfinger. Der Einsturz des Doms war abzusehen.“