Lebenslang für Josef Schwammberger

Vermutlich letzter großer NS-Prozeß/ Stuttgarter Landgericht hält Schwammberger in sieben Fällen des Mordes für schuldig/ Beihilfe zum Mord an mindestens 641 Juden/ An Turnhallenaktion aktiv beteiligt/ Rechtsradikale protestieren gegen Urteil  ■ Aus Stuttgart Edgar Neumann

Zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe hat die neunte Schwurgerichtskammes des Landgerichts Stuttgart gestern den früheren SS-Oberscharführer Josef Schwammberger verurteilt. In dem vermutlich letzten großen NS-Verfahren hielt die Kammer den 80jährigen Angeklagten des Mordes an 25 jüdischen Zwangsarbeitern und der Beihilfe zum Mord an mehr als 600 Gefangenen in von ihm geleiteten NS-Zwangsarbeitslagern im Zweiten Weltkrieg in Polen für erwiesen. Das Gericht verhängte einen neuen Haftbefehl, womit der frühere Lagerkommandant bis zur endgültigen Rechtskraft des Urteils wieder in Untersuchungshaft wanderte. Der bisher gültige Haftbefehl stammte aus dem Jahre 1972. Bis zu seiner Auslieferung im Mai 1990 hatte sich Schwammberger in Argentinien aufgehalten.

Rechtsradikale vor dem Gerichtsgebäude

Das Gericht hat mit diesem Prozeß bewiesen, daß auch heute noch NS- Verbrechen verfolgt werden können. Am Ende der anderthalbstündigen Urteilsbegründung räumt der Vorsitzende Richter Luippold jeden Zweifel an der strafrechtlichen Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte aus. Die Zielrichtung dieser Aussage war deutlich. Hatten sich doch vor dem Gerichtsgebäude wie schon am ersten Verhandlungstag rund 25 Rechtsradikale versammelt und „Freiheit für Schwammberger“ skandiert. Auf Transparenten hieß es „Schluß mit den Justizmorden an wehrlosen NS-Greisen“ und „Weg mit der Allein-Kriegschuld-Lüge“. Einige von ihnen trugen schwarze wadenhohe Springerstiefel und Gürtel mit Totenkopfkoppel.

Luippold betonte, der von den Nationalsozialisten kaltblütig geplante Völkermord an den Juden sei einmalig in der deutschen Geschichte und dürfe nicht dem Vergessen anheim fallen. In insgesamt sieben Fällen beging Schwammberger nach Überzeugung der Richter Mord an 25 Gefangenen aus Rassenhaß und niedrigen Beweggründen. Dagegen sprach die Kammer ihn in zehn der 52 Punkte umfassenden Anklageschrift frei und stellte das Verfahren in drei weiteren Punkten ein.

Als eines der „niederträchtigsten und verwerflichsten“ Verbrechen beurteilten die Richter den Mord an dem jüdischen Rabbiner Fränkel am 21. September 1942, dem höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur. Die Tat vor den zum Appell versammelten Gefangenen des Lagers Rozwadow begangen, trage eindeutig „blasphemische Züge“, so Luippold, womit Schwammberger ein „Fanal seiner Allmacht über die Lagerinsassen“ habe setzen wollen. Dennoch hielt es das Gericht für verfehlt, den Tod eines Einzelnen besonders hervorzuheben, angesichts der Tausenden, die der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“ zum Opfer fielen.

Schwammberger mit unbewegter Miene

Ganz im Unterschied zur Staatsanwaltschaft hielt das Gericht jedoch auch Schwammbergers Beteiligung an der „Turnhallenaktion“ auf Grund glaubwürdiger Zeugenaussagen für erwiesen. Dabei waren Anfang September 1943 mindestens 500 jüdische Gefangene von Wachmannschaften und Gestapoangehörigen erschossen und ihre Leichen anschließend verbrannt worden.

„Die Erschießungen gingen über Stunden und die Scheiterhaufen brannten mehrere Tage“, faßte Luippold noch einmal das grauenvolle Geschehen zusammen, das zahlreiche Zeugen eindrucksvoll vor Gericht geschildert hatten. Es stehe fest, daß Schwammberger „aktiv“ an dieser Massenerschießung teilgenommen hatte. Schwammberger selbst verfolgte die Urteilsverkündung mit unbewegter Miene und gelegentlichem zynisch wirkendem Lächeln. Lediglich als Luippold anmerkte, der damalige Lagerleiter sei außer wegen seiner Grausamkeit auch in Gestapokreisen wegen seiner Korruptheit bekannt gewesen, zeigte sein Gesichtsausdruck Züge der Verärgerung.

Keiner der Zeugen hat Unwahrheit gesagt

Schwammberger hat die ihm angelasteten Verbrechen stets bestritten und lediglich eingeräumt, das Lager Przemysl geleitet zu haben. Die von ihm behaupteten Gedachtnislücken glaubte ihm das Gericht nach den Worten Luippolds nicht. Seine Gestik und Mimik bei mancher Zeugenaussage habe eindeutig gezeigt, daß er sich dazu „eine eigene Meinung gemacht habe“. Zu den teilweise widersprüchlichen Zeugenaussagen stellte Luippold fest: „Keiner der hier vernommenen Zeugen hat subjektiv die Unwahrheit gesagt, auch wenn sie die objektive Wahrheit nicht immer getroffen haben.“

Gegen das Urteil kann innerhalb einer Woche Revision eingelegt werden. Pflichtverteidiger König erklärte im Anschluß an die Urteilsverkündung, er gehe davon aus, daß sein Mandant Schwammberger in Revision gehen werde. „Oder kennen Sie jemand, der gegen eine lebenslange Freiheitsstrafe keine Revision beantragt?“