Im Zeitalter des Vulkans

■ Matthias Beltz gastiert mit seinem Solo »Die Füße im Feuer« im Mehringhof-Theater

Von der Begeisterung über die Verzweiflung hin zur Trostlosigkeit — »also wieder zurück nach Hause« — will Matthias Beltz uns mit seinem Programm Die Füße im Feuer führen. Für diese Rundreise durch die satirische (oder satanische?) Republik braucht er nicht viel: eine Bühne (bitte mindestens vier mal vier Meter), gutes »Grundlicht« und ein ordentlich funktionierendes Mikrophon, das die Wortsalven und Endlosmonologe seines Alter ego, des Frankfurter Rechtsanwalts, angemessen auch in die hinteren Reihen des Mehringhofes trägt.

Immer nach dem Prinzip der inzwischen endlich verstorbenen Großmutter — »Füße warm, Kopf kalt, so wirst du hundert Jahre alt«, plaudert er munter über Gott und die Welt, daß einem der Schädel bald raucht. Ein kurzer Satz über die Wiedervereinigung, ein rascher Kommentar zur Landtagswahl in Baden- Württemberg — »elf Prozent ‘Republikaner‚ sind im Verhältnis zu dem, was hier wirklich gedacht wird, ganz schön wenig!« — ab nun geht es vor allem um den Samstag als solches. Denn gewohnheitsmäßig fragt sich der brave Rechtsanwalt aus Sachsenhausen gerade an diesem Wochentag: »Wer ist eigentlich schuld?« Das strukturiert so hübsch den Tag. »Trauerarbeit kann man ja immer noch am Abend leisten...«

Wer ist zum Beispiel schuld, wenn das Erdbeertörtchen beim Bäcker Hansen durchgeweicht ist? Wer hat den Sozialismus geklaut (»Guck' ich weg von dem Fleck, ist der Sozialismus weg«), und wer hat eigentlich das Leben so verdammt hart gemacht? Hin und wieder muß Matthias Beltz auf solche Fragen auch mal »ich« sagen können, aber als alter Protestant fällt das dem Frankfurter gar nicht so schwer. Denn hatte er nicht — Hand aufs Herz — dem Erbeertörtchen schon in der Auslage angesehen, daß es durchgeweicht war?

»Wer ist schuld?« Das ist und bleibt die Frage aller Fragen, und irgendwie gibt es im Laufe jedes Samstags auch mindestens eine Antwort. Und falls Beltz es einmal wirklich nicht weiß, »dann weiß ich als Linker, ist es der Amerikaner!«.

Wenn man dem Satiremarathon des Matthias Beltz Glauben schenken mag (und seinem Tempo folgen kann!), dann leben wir in der Vulkanzeit. Nach der sogenannten »Basaltzeit« zwischen 1945 und 1986, in der einfach alles erstarrt war — sogar der Kalte Krieg —, bebt nun die Erde wieder. Nicht nur die Lava aus den diversen Erdlöchern — nein! —, alles ist im Fluß, was man vor allem daran sehen kann, daß die Zeugen Jehovas immer hübscher werden: »Früher wollte man ja das Elend nicht noch verdoppeln, indem man hinschaut. Heute schnappt man sich ja direkt gerne mal den 'Wachturm‘!« Was das alles am Ende zu bedeuten habe, weiß natürlich auch der Erdbeertörtchen liebende Rechtsanwalt aus Sachsenhausen nicht — »Ich dachte, sach' es mal.«

Und so assoziiert sich Matthias Beltz von Katastrophe zu Katastrophe, fabuliert von Erdbeertörtchen zu Erdbeertörtchen. Da sieht man vor seinem geistigen Auge den Blitzkrieg im Supermarkt, die Schlange bei Bäcker Hansen (»Die Warteschlange beim Konditor hatten wir schon vor dem Ende des Sozialismus von der DDR übernommen!«) oder die Schandtat von Gibea aus dem »Buch der Richter, Kap. 19, 1-30«.

Dümmliche Scherze, blutrünstige Erzählungen aus dem OP-Raum seiner Freundin Sabine wechseln mit privaten Begegnungen aus dem Jenseits und gesellschaftskritischen Sarkasmen aus dem Diesseits. Die politischen Seitenhiebe, die Gott sei Dank ohne Kohl und Konsorten auskommen, verstecken sich bei Beltz wie immer elegant unter einem Wust von Kalauern und Blödelei. Man muß das Lachtempo schon gewaltig steigern, will man nicht an der falschen Stelle kichern. Am Ende des Satireabends mit Hyperspace sind die Köpfe heiß, die Füße kalt und endgültig alle Fragen beantwortet. Jedenfalls die, die nicht gestellt wurden. Nur eine einzige Unklarheit bleibt: Wenn wir, wie Matthias Beltz errechnet, inzwischen fünfeinhalb Milliarden Menschen auf der Erde sind, »also erstmals mehr Lebende als Tote«, wo — um alles in der Welt — kommen dann bei der Seelenwanderung die Neuen her? Klaudia Brunst

Die Füße im Feuer noch bis 31. Mai Mi.-So. um 21 Uhr im Mehringhof-Theater