piwik no script img

VILLAGE VOICEAdamsonitis und Butzmanniana

■ Niemals zuviel Sinn auf einem Haufen zusammenkommen lassen: neue Platten-Hörspiele von Barry Adamson und Frieder Butzmann

Achtung, Konzeptalbum! Die Typen heißen »El Deludo«, »Harry Pendulum« oder »Oscar de la Soundtrack« und sind irgendwie nicht zu fassen. Machen, was sie wollen. Sind eben Gangster, die mit dem Stoffwechsel der Stadt verwoben sind, können lautlos abtauchen, um unvermutet unter einem Kanaldeckel wieder hervorzukommen: »Stark und schwarz hob er sich vom glitzernd verschneiten Hintergrund ab. Bei genauerer Inspektion konnte ich die Angst aus jeder seiner Poren kriechen sehen. Ich reichte ihm die Hand mit den Worten, daß ich ihm helfen könne, aber ‘Checkpoint Charlie‚ wollte davon nichts hören.«

Smells like Groschenheft-Spirit, und genau das soll es natürlich auch. Die 14 Hör-Stückchen auf Barry Adamsons (ehem. Bad Seeds) zweitem Soloalbum sind Soundtracks zu dick aufgetragenen Thrillerphantasien, mal rein instrumental hingespachtelt, mal hörspielartig und polyglott (englisch, französisch, deutsch) mit Text unterlegt, aber stets auf Wiedererkennungswert spekulierend. Männer machen auf Marlowe, Frauen mit blonden Stimmen lesen aus abgeschlossenen Kurzromanen. Dazwischen schmiegen sich schmalzige Soul-Passagen, und dramatische Bläser-Riffs sind einfach nur dramatisch. Gestopfte Trompeten geben dem Ganzen eine jazzig-existentialistische Grundnote. Verrucht sozusagen. In einem fort kommen Spione aus der Kälte, hocken Pokerfaces in verräucherten Kneipen, gehen Trenchcoat- Typen durch regennasse Straßen, die wahlweise in London, Paris, Havanna oder auch Berlin liegen können (weniger in New York oder Los Angeles). James Bond jagt den Mann mit der goldenen American Express Card, und Smileys Leute mischen dabei auf schwer durchschaubare Weise mit.

Ach ja, die Welt des Kalten Krieges. Hat doch ein paar hübsche Melodien hervorgebracht. Hat auch ein paar Bilder hinterlassen, die nicht mehr rausgehen aus den Köpfen. Barry Adamson schneidet sie auf Soul Murder noch einmal aneinander — effektvoll, verspielt, geschickt, aber ohne den bekannten Klischees etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Kunsthandwerk. We've seen that movie too, und auch wenn wir uns anfangs freuen, die Szenen wiederzuerkennen, kommt der Überdruß an der hermetischen Veranstaltung schnell. Längst sehen Gangster anders aus, längst ist der Mythos vom Mann im Trenchcoat ein Fall für C&A. Marlene Dietrich ist auch schon tot. Bloß noch ein paar Männer mit Dreitagebart haben sich in einen Film verirrt, aus dem sie nicht mehr rauskommen. Aber davon will »Checkpoint Charlie« natürlich nichts hören.

Und jetzt der dicke Brocken: Butzmann. Tage-, fast wochenlang lag die CD ungehört neben dem Bett. Ich gestehe, ich habe ein wenig Angst vor solchen Platten, zumal das Cover eine gänzlich undefinierbare Grafik ziert: perforierte Linien, dunkle Dreiecke, schraffierte Flächen, das Ganze leicht unscharf, wie durch einen Fernsehmonitor gesehen. Darüber im hohen Bogen der Titel, Dive Bombers. Hat das am Ende was mit'm Golfkrieg zu tun?

»Fragen Sie nicht, warum die CD so heißt«, heißt es wenig hilfreich im Presse-Info. Gute alte Dadaisten- Tradition: niemals zuviel Sinn auf einem Haufen zusammenkommen lassen. Dann schon lieber weghauen, das Ganze. Zeilen basteln wie »Die Putzkolonne putzt / Sie ist der Feind von Schmutz / Der Boden wird gefegt / Und richtig glanzgefegt« (nicht etwa, was irgendwie nahegelegen wäre: »glanzgepflegt«), oder auch: »Ständiges Üben macht den Meister / Ständiges Üben macht den Meister / Ständiges Üben macht den Meister / Aber man muß aufpassen, daß man keine Sehnenscheidenentzündung davonträgt.«

Nein, sachdienliche Hinweise zum Verständnis des Werkes bieten weder Textblatt noch Info. Dafür sind in letzterem wenigstens die Aktivitäten des Konstanz- stämmigen Wahlberliners seit den Anfängen in den Wirren der Endsiebziger noch einmal dokumentiert: Pionier der später ach so viel zitierten »Genialen Dilletanten«, Mitarbeit auf dem mindestens ebenso legendären Sampler Geräusche für die Achtziger, danach, als die Zeiten schlechter wurden, dit und dat; angefangen bei diversen Tonträgern, Vorträgen und Forschungsprojekten über die Hauptrolle in dem 35-mm-Film Meine Socken bis hin zu Muezzin-Gesängen auf dem Mariannenplatzfest 1990. Seit 1987 gibt ein Lehrauftrag für Film- und Videovertonung an der Fachhochschule Düsseldorf dem Dasein eines freischwebenden E-Musikers einen gewissen Rahmen. Soviel zum Thema Fama und Produktionsbedingungen.

Was die Musik anbelangt: Probieren wir's zunächst mal mit der »klingt wie«-Schiene. Verblüffend, daß das Endsiebziger-Erbe auch auf Dive Bombers noch spürbar ist. Der gemeinsame Ausgangspunkt mit so verschiedenen (auch ganz unterschiedlichen Lokalszenen angehörigen) Gruppen wie Palais Schaumburg oder Der Plan bleibt in bestimmten Keyboardfiguren und Melodiekürzeln wie aus Zeichentrickfilmen erhalten — eine Reminiszenz an Zeiten, in denen Experimentalmusik noch leichter mit Pop zusammenging. Daneben und darüber hinaus gibt es auf Dive Bombers aber auch Schwerergewichtiges: unendlich gedehnte Brumm-, Nebel- und Waberklänge auf War (zu denen mir nichts einfällt außer »Sinuskurve«), dräuende Carmina-Burana-Gesänge auf Das Rad des Klangs. Kippt dann mitunter ins Manirierte. Manchmal scheint es sogar zur Kunst-Folklore nicht allzuweit. Das Titelstück mit seinem maultrommelartigen Grundrhythmus und den durch Zeitachsenmanipulation verfremdeten Stimmen von Barbara Bloom und Blixa Bargeld klingt schon recht stark nach Laurie Anderson, also nach internationaler Avantgarde- Inzest-Mafia. Goetheinstituttauglich.

Zum Glück wird die Gefahr des Prätentiösen oder auch bloß im schlechten Sinne Zeitgemäßen immer wieder durch einen etwas kindlichen, sinnenfrohen, ich möchte fast sagen: süddeutschen Humor gebannt. Funkverkehr ist eine Collage von Stimmen »aus dem Äther«. Seltsame Geister-Voices mit noch seltsameren Wünschen kommen zu Wort, verlangen, daß irgend jemand von der Autobahn nach Hause zurückkommt oder sich von da und dort sofort meldet. Wir werden akustische Zeugen alltäglicher Dramen. In eine ähnliche Kerbe haut auch Der panische Hund, eine Art Mini-Hörspiel, in dem ein offenbar antiautoritärer Hund laut bellend und wohl auch beißend den Gehorsam verweigert. Herrchen (?) schreit dazu immer wieder vergeblich die gängigen Befehlsfloskeln. Klassischer Fall von Gaudi und »Stop Making Sense« im Sinne von: Ottos Mops kotzt.

Ein Resümee aus alldem? Gibt's keins. Das Beste am Butzmann ist ja gerade, daß der Autor, obwohl er sicher so manche Geschichte zu seinem Oeuvre zu erzählen wüßte, uns mit alldem nichts so recht sagen will. Er geht bloß irgendwelchen, meist durchaus alltäglichen Spuren nach, die er zu typischen Butzmanniana verknäult. Die muß man dann hörenderweise wieder auseinanderklamüsern, am besten nach dem Prinzip der freien Assoziation. Plötzlich fangen sie dann an, einem etwas über das eigene Leben zu verraten.

Das heißt natürlich auch, daß Dive Bombers es, wie alle Butzmann-Plattenproduktionen, im Easy-Listening-Alltag schwer haben wird. Zum Autofahren ist das Ganze zu sprunghaft und hektisch, zum Nebenherhören überhaupt zu anstrengend, so what? Den Hasen geben? Heimlich ins Supermarkt-Soundsystem einspeisen? Ahnungslose Kollegen damit beschallen? Vielleicht gar nicht mal die schlechteste Idee. File under »für gewisse Gelegenheiten«. Thomas Groß

Barry Adamson: Soul Murder (Mute/Intercord)

Frieder Butzmann: Dive Bombers (Zensor)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen