Mahnwache der Rechtsextremen verboten

■ Wahlbündnis »Die Nationalen« wollte vor der Jüdischen Gemeinde demonstrieren/ Wertet eine Berichterstattung sie auf?

Berlin. Die Polizei verbot gestern nachmittag eine für Freitag geplante Provokation des rechtsextremen Wahlbündnisses »Die Nationalen«. Ihre Mitglieder wollten sich vor dem Jüdischen Gemeindezentrum in der Fasanenstraße aufstellen, um so gegen den »Einfluß von Heinz Galinski auf den Senat« zu protestieren. In der Verbotsbegründung des Polizeipräsidenten Georg Schertz heißt es, daß alle Indizien darauf hindeuteten, daß die Rechtsextremen »unter durchsichtigem Vorwand neonazistisches Gedankengut in volksverhetzender Absicht« verbreiten wollten.

Im Senat habe große Empörung geherrscht, sagte der stellvertretende Sprecher Eduard Heußen. »Eine solche Veranstaltung wäre eine Schande für Berlin und Deutschland«. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, wollte im Namen der Gemeinde keine Stellungnahme abgeben. Dies sei in diesem Falle »keine Sache der Jüdischen Gemeinschaft, sondern ausschließlich eine Angelegenheit Berlins«.

Für uns Journalisten stellte sich schon vor der Verbotsentscheidung das Problem, wie wir mit dieser Provokation der »Nationalen« umzugehen haben. Denn ihre Strategie ist eindeutig und wurde zum Jahrestag der Befreiung am 9. Mai in Karlshorst schon einmal durchexerziert. Ihre Kundgebung wurde damals vom Verwaltungsgericht kurzfristig untersagt.

Das Dilemma aber ist, daß auch eine Negativpresse der Gruppierung Publicity verschafft. Selbst gröbste Angriffe sind für das Wahlbündnis mehrerer rechtsextremer Gruppierungen, die vor Wochen noch niemand kannte, kostenlose Reklame. Unbekannt könnte die Gruppe bleiben, wenn die gesamte Journalistenzunft diese und ähnliche braune Spinner mit dem Verdikt »totschweigen« bestrafen würde. Andererseits aber — und auch dafür ist Karlshorst ein Beispiel — ist es wichtig, durch demokratische Präsenz allen potentiellen Hinterstubennazis in ihre dumpfen Gehirne einzuhämmern, daß in Berlin ein politisches Comeback nie und nimmer möglich sein wird.

In einem ähnlichen Zwiespalt steckten gestern auch zahlreiche Vertreter verschiedener Gruppen und Parteien. Ron Zuriel von der »Demokratischen Liste« in der Jüdischen Gemeinde hielt es für »fatal«, wenn man dieser Gruppe überhaupt durch ihre Benennung »Ehre erweisen« würde. Alica Fuss von der »Jüdischen Gruppe« hingegen meinte, daß nicht auf Verbote gewartet werden dürfe, sondern »Widerstand durch Gegenöffentlichkeit hergestellt werden« müsse. In diesem Falle sei eine Demonstration gegen Galinski gleichbedeutend mit einem Angriff auf die Jüdische Gemeinschaft.

Der SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller bezeichnete die geplante Aktion der Rechten als »eine neue Qualität der Unverschämtheit«. Angesichts der deutschen Geschichte sei die »Verharmlosungsnummer das Törichste, was es gibt«. Trotz Verbots werde zusammen mit dem Bündnis 90/Grüne überlegt, ob eine solidarische Mahnwache vor der Gemeinde durchgeführt werde. Der CDU-Fraktionssprecher Markus Kauffmann empfand schon allein die Absicht der »Nationalen« als »dümmlich und schweinisch«. Er begrüßte ausdrücklich das Verbot. Zurückhaltend äußerte er sich zu möglichen Gegendemonstrationen: »Man kann seinen Antifaschismus in vielfältiger Form zum Ausdruck bringen — es muß nicht immer die Straße sein.«

Auch Renate Künast, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne, sieht das Problem der Aufwertung. Andererseits sei es »in einer Mediengesellschaft schon technisch nicht möglich, so etwas zu verschweigen«. Sie habe auch ein moralisches Problem, denn Weggucken sei in der Vergangenheit »eine typisch deutsche Verhaltensweise« gewesen. aku/sev