Verzerrte Gesichter

■ Das neue Make-up Osteuropas

So neu ist dieses Make-up wiederum nicht, denn noch unter den diktatorischen Regimes in Osteuropa wurde ab und zu mal eine Fassade verändert, restauriert. Mehr aber auch nicht. Und hinter den Fassaden bröckelt es immer noch, weil dahinter die alten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen weitervegetieren. In Ungarn entsteht mancherorts in kleinem Rahmen eine neue Substanz — sei das nun am Plattensee, wo Privatinitiativen wirkungsvoll funktionieren, oder in Orten wie Békescsaba, wo es ein Hotel gibt, das sich sehen lassen kann. Allerdings wurde mir in einem Budapester Luxushotel der Zugang zum Restaurant verwehrt, weil ich weder Anzug noch Krawatte besaß. Auch auf diese Art kann Marktwirtschaft verstanden werden: in der Kombination mit sozialistischem Rigorismus.

Die (Rest-)Schönheiten Osteuropas sind immer noch unerreichbar für den Normalbürger. Deshalb treffen Investitionen in eine attraktive Gestaltung der Städte auf wenig Verständnis bei der Bevölkerung. Denn attraktiv können nur die übriggebliebenen Stadtzentren, die Villen und Museen noch werden. Daneben aber lebt die Bevölkerung in den grauen Neubauten — wie in Krakau, wo die Polen in dem schönen Zentrum höchstens flanieren oder handeln können. Das brutale Nebeneinander von Grau und restaurierten Altbauten, in denen die alten neuen Privilegierten wohnen, von landschaftlicher Schönheit und dampfenden Industriemonstern verzerren das Gesicht Osteuropas — ganz zu schweigen von den Giften, die von diesen Monstern abgelassen werden, oder von den Gefahren, die da lauern, wie zum Beispiel das bulgarische Atomkraftwerk.

Und da es kaum greifende und auf Langzeit angesetzte Wirtschaftsprojekte gibt, ist Osteuropa ein Tummelplatz für jene geworden, die es verstehen, das schnelle Geld zu verdienen. Der (zollfreie) Kleinhandel blüht. Boutiquen und improvisierte Verkaufsstände prägen das Straßenbild, während die meisten Jugendlichen sehnsuchtsvoll den Blick über die Grenzen hinweg richten — egal wohin, und sei es Südafrika, das vor allem Polen, Bulgaren und Rumänen anzieht. Das schöne Osteuropa gibt es höchstens noch für Nostalgiker und Romantiker, die nicht funktionierende Wasserhähne in einem Hotel schön und Improvisation attraktiv finden und darüber hinaus mit der Tristesse des Alltags umgehen können. Helmuth Frauendorfer