Europa einig Freizeitpark

Europas darniederliegende Ökonomien haben ein Wundermittel entdeckt: die Freizeitindustrie  ■ Von Edith Kresta

Nachdem sich das bundesdeutsche Engagement zum sanften Tourismus im Umweltschutzpapier der TUI- Kataloge niedergeschlagen hat, ist der Tourismus nach Ansicht von wortführenden Freizeitwissenschaftlern in die postsanfte Ära getreten. Ihr Merkmal: Ökologie als kleinster gemeinsamer Nenner einer Koalition von kritischen Reformern und einsichtiger Branche, Ökologie als Markenzeichen fortschrittlichen Managements, Ökologie auch als Rohstoffsicherung der weißen Industrie, die wie keine andere mit Ursprünglichkeiten und Natur handelt.

Eine wie auch immer geartete Umweltfreundlichkeit als Qualitätsmerkmal ist für jeden deutschen Reiseveranstalter, der auf der Höhe der Zeit sein will, unumgänglich. So kämpfen in der postsanften Ära Umweltschützer und Touristikbosse Seite an Seite für den Erhalt des letzten Biotops. Allen geht es um die eine Welt — und die wird gemeinsam gehegt und gepflegt. Der eine tut es aus Idealismus und Menschenliebe, der andere im Interesse eines „gewinnbringenden Umweltmanagements“— so der siebenköpfige Umwelt-Strategie-Ausschuß des deutschen Reisegiganten TUI auf der Internationalen Tourismusbörse.

Natürlich wäre beispielsweise ein Freizeitpark in Bitterfeld für die dortigen Bewohner per se umweltverträglicher als die bislang giftende Chemieindustrie. Zwar schafft er sicherlich nicht die gleiche Zahl qualifizierter Arbeitsplätze, dafür aber reine Luft, und darüber hinaus soll er den Anwohnern ja auch Vergnügen bringen. Und so sehnt sich ein großer Teil der industriell und ökologisch abgehalfterten Gemeinden in der ehemaligen DDR nach den Segnungen des Tourismus, wie auch im Westen der Republik, wo ehemalige Industriehochburgen — zum Beispiel das Saarland oder der Ruhrpott — noch etwas von der Ökonomie retten wollen, indem sie auf Freizeit setzen. Dieser Trend besteht europaweit.

Das Geschäft mit der Freizeit blüht von den klassischen Urlaubszielen Spanien und Italien bis Schottland. Ein geeintes Europa erleichtert und begünstigt den grenzüberschreitenden Verkehr. Ob mit oder ohne Tourismusminister, Tourismus bzw. Freizeit ist in allen europäischen Ländern ein wachsender Wirtschaftsfaktor. Und er ist ohne den Umweltgedanken nicht mehr denkbar: Ökologisches Engagement dient auch der Produktdifferenzierung auf einem gesättigten Markt.

Mickymäuse, Center Parks, Golfplätze und Tennisanlagen holt man sich, im Norden wie im Süden, als Transfusionen für die darniederliegenden Ökonomien. Natürlich werben auch diese Großprojekte in irgendeiner Form mit Umweltverträglichkeit: „Mit der Bahn von Paris zur Maus“, „Center Parks schützt die Bäume und renaturiert Landschaft“, und Golfanlagen sind für die Betreiber sowieso das Nonplusultra gepflegter und gehegter Umwelt.

Selbst den Umweltbanausen Spanien und Italien weht — von der EG- Kommission unterstützt — der postsanfte Wind um die Ohren. Blaue Flaggen und andere Umweltsiegel üben Druck aus und setzen vergleichbare Europa-Standards. Umweltsensibilität ist marktgerecht und verkaufsfördernd in einem Raum mit dem begrenzten und bedrohten Rohstoff Natur. So beginnt sich im Tourismus die echt deutsche, sanfte Norm als EG-Norm zu etablieren. Die Lobby dafür ist stark und zahlungskräftig: Immerhin sind die Deutschen europaweit die größten touristischen Veranstalter und Konsumenten.

Selbst der verwässertste Umweltgedanke ist ja besser als keiner: Von der künstlichen Ghetto-Welt, welche die übrige Natur schonen soll, bis zum kerosinsparenden Riesenjumbo, der voll ausgebucht die Massen ins Paradies bringt — das florierende Geschäft mit der freien Zeit, das wie kein anderes Verkehr produziert, legitimiert sich mit ökologischer Logik. Die Masse macht's nach wie vor. Einschränkungen oder Reduzierungen der Reiseströme sind eine Nulloption. Dafür wird die Masse ökologisch, ökologischer, am ökologischsten gemanagt. Wer darin einen Widerspruch sieht, sollte sich von der absoluten Bedürfnisbefriedigung in den künstlichen Urlaubswelten verwöhnen lassen. Weit weg von der darbenden Alpenwelt kann der Urlauber dort massenhaft umweltschonend das künstliche Matterhorn besteigen.

Der Tourismus boomt in Europa. Selbst seine perversesten Ausprägungen werden noch als ökologisch verkauft. Die politisch Verantwortlichen vertrauen in der Freizeitpolitik auf die ökologischen Selbstreinigungskräfte des Marktes. Mit dem Umweltgedanken im Jutekoffer erobern die Freizeitkonzerne Europa. Die Politiker lassen sich davon blenden, wenn sie nicht sowieso desinteressiert sind. Freizeitpolitik machen in Europa die Freizeitkonzerne. Die Politiker dürfen Freizeitkapitäne auf den Luxusdampfern der Konzerne spielen. Den Kurs jedoch haben die Marktstrategen der Sonnenscheinindustrie fest im Visier: Europa einig Freizeitpark.