Lord Silberkrücke und die bayerische Steuerzecke

■ Im Zug von Berlin in den Süden der deutschen Republik ärgert man sich über die Bonner Politprominenz

Auf den Schienen (taz) — „So“, sagt er und blickt mit kalten Augen durch seine Brillengläser, „die Stimmung ist also schlecht in Deutschland?“ Gelangweilt lehnt er sich und sein graumeliertes Haupt in den Ersteklasse-Bundesbahnsitz zurück. „Doch nur deshalb, weil alle darüber reden.“ Schließlich hätten wir genug zu essen, und unsere Benzinkutschen hätten wir auch. „Aber dieser ganze politische Klüngel“, schnauft er plötzlich so heftig, daß die braunen Entchen auf seiner grünen Krawatte zu tanzen anfangen. „Dieses Techtelmechtel und Henky-Panky in Bonn!“ — unerträglich.

Der Herr mit dem tierfreundlichen Halsschmuck ist Prokurist einer Firma mit 12.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 2,4 Milliarden DM. In München lebt er und ist in Geschäften unterwegs. „Die in Bonn vergessen dauernd, daß wir ihre Kunden sind. Immer geht's um Persönliches, statt um die Sache.“ Rot ist sein Kopf inzwischen vor Rage geworden, was einen hübschen Kontrast zu seinem grauen Anzug bildet. „Führungslos ist das alles. Die Leute erwarten, daß mal einer sagt: Das ist es, und das machen wir. Aber diese FDP mit ihrem Lord Silberkrücke. Da stellt man uns eine Frau Leutheusser- Schnarrenberger als Justizministerin hin. Die kennt doch kein Schwein.“ Auch von der „gemeinen bayerischen Steuerzecke, diesem Waigl“, komme nichts Gutes. „Wenn die SPD Kassensturz verlangt und die Regierung sagt: Gibt's nicht!, dann habe ich damit Probleme. Das ist es doch, was den Leuten auf der Seele drückt.“ Dieser Kohl mit seiner deutschen Einheit. Die sei ihm doch zugefallen wie ein Sechser im Lotto.

Von Berlin nach Halle will der Mann, der aussieht wie George Bush in jüngeren Jahren. Um sich mit den Verhältnissen im Osten vertraut zu machen, erzählt er, fahre er Zug statt Leihwagen. Und jetzt fährt er auch noch mit den Sozis Schlitten. Der Engholm komme daher, als habe er das Patentrezept, „dabei will er nur uns Besserverdienenden das Geld wegnehmen. Das langweilt mich bis zum Abwinken. Für meine Freundlichkeit — daß ich soviel arbeite — bin ich ja schon in der höchsten Steuerklasse. Ich bezahle ja gerne mit, aber nur, wenn woanders gespart wird und nicht zwei Millionen zum Fenster rausgeschmissen werden, wie für die Eröffnung des neuen Flughafens in München.“

Fast kann man den anfangs so zurückhaltenden Fahrgast noch im Abteil nebenan hören. Dort sind Mutter und Tochter, beide schon grauhaarig, zurück auf dem Weg nach Nürnberg. „Uns geht es ja gut“, meint die Jüngere, „aber der Unterschied ist so groß zwischen denen, die viel, und denen, die gar nichts haben.“ Sie ist Chemielaborantin, ihre Mutter war früher Raumgestalterin. „Eigentlich habe ich keine Angst vor der Zukunft“, sagt die 82jährige und ergänzt mit einem schnellen Blick zu ihrer 50jährigen Tochter, „aber wenn ich Enkel hätte...“ Das mit der Einheit, das hätte ja nicht gutgehen können, und noch ehe die Tochter sich einmischen kann, redet die Mutter weiter: „Unsere Politiker wollen Deutschland ja nicht in den Abgrund führen. Aber sie geben ein so schlechtes Bild ab.“ Fair müßten die Politiker sein, der Umgangston müsse sich ändern. „Regiert wird überhaupt nicht mehr in Bonn“, wirft die Jüngere jetzt ein, bevor ihre Mutter fortfährt, „ach, Altbundeskanzler Schmidt war mir lieber. Denn Herr Kohl denkt immer erst an sich.“ Noch einmal will ihre Tochter den Mund aufmachen, aber die Mutter fährt dazwischen: „So, mehr wollen wir dazu nicht sagen.“

Als hätte er den beiden Frauen zugehört, drechselt der junge Elektroingenieur ein Abteil weiter ein Resümee. „Politisch, ökonomisch und moralisch gibt es in Deutschland Tendenzen zur Unzufriedenheit.“ Das liege aber nur daran, daß sich alles ums Materielle drehe. „Ich als Christ bin optimistisch.“ Bascha Mika